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Jean-Samuel Beuscart und Kevin
Mellet118
dungen seiner Nutzer, die die hauptsächliche Nutzung der Seite widerspiegeln.
Keiner der Nutzer in unserer Untersuchung hatte eine Profilseite von sich aus-
gefüllt, eine Nutzerfoto hochgeladen etc. Wenn man sich ausführlicher auf der
Seite umschaut, sieht man, dass vollständige Profile eine Ausnahme darstel-
len. Obwohl sie viele Kritiken schreiben, beteiligen sich LaFourchette-Nutzer
also nicht deshalb, weil sie die sichtbare Aktivität eines Profils erhöhen wollen
oder weil sie Anerkennung suchen. Auch auf die Frage, ob sie sich einer »spe-
ziellen Gemeinschaft« von LaFourchette-Nutzern3 zugehörig fühlten, antwor-
teten die meisten mit Nein. Keiner stand in sozialen Beziehungen zu anderen
Mitwirkenden und die meisten wünschten sich auch keine.4
Der Begriff »Gemeinschaft« geht ein bisschen weit … Ich bin froh, ein Teil der Seite zu
sein und meinen Beitrag zu leisten, ja, ohne Vorbehalt. Ich fühle mich nicht im Gerings-
ten unter Druck. Ich denke, es besteht ein echtes Interesse an dieser Seite, also würde
ich sagen, ich mache gerne mit. Aber zu sagen, dass ich Teil einer Gemeinschaft wäre
… nein, den Eindruck habe ich nicht. Das wäre tatsächlich ein zu starker Ausdruck. (E2)
Stattdessen besteht die vorherrschende Motivation wohl darin, einen anony-
men und bedeutungsvollen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Die Nutzer
betonten ihr Bedürfnis, ein insgesamt reziprokes System am Leben zu halten:
Sie geben ihre Meinung ab, um an einem System mitzuwirken, von dem sie
selbst einen Nutzen haben. Die Kodierung der Interviews brachte eine große
Bandbreite an Ausdrücken für kollektive Teilnahme zum Vorschein: »Das ge-
hört zum Spiel« (E2), »ich möchte mich revanchieren« (E4), »ich möchte mei-
nen Teil des Vertrags erfüllen« (E10), »es ist ein Geben und Nehmen« (E28,
E30), »es ist ein Win-Win« (E10), »das ist nur fair« (E26), »es ist hilfreich«
(E12), »es ist meine Pflicht, die Leute zu informieren« (E27) usw. Nach unse-
rer Untersuchung besteht die Hauptmotivation für das Schreiben einer Kritik
anscheinend in einem Gefühl von Verantwortung, in einer moralischen Ver-
3 | Der Begriff »Gemeinschaft« oder »Community« wird von vielen Betreibern von Be-
wertungsseiten systematisch verwendet und LaFourchette bildet da keine Ausnahme.
Verweise auf die »LaFourchette Community« findet man überall auf der Seite. Allerdings
haben einige Plattformen wie Yelp oder TripAdvisor aktive Strategien implementiert, um
zwischen Mitwirkenden sichtbare soziale Interaktionen aufzubauen und zu verwalten:
individualisierbare Profilseiten, Abzeichen, interne Kommunikationswerkzeuge, das Or-
ganisieren von Events in realen Örtlichkeiten usw. (Mellet u.a. 2014).
4 | Ein Interviewpartner bildete eine Ausnahme: Als intensiver Nutzer der Plattformen
TripAdvisor und LaFourchette verwendet er viel Aufmerksamkeit auf die Pflege seines
Profils auf letzterer und zögert auch nicht, sich dies bei Verhandlungen mit Restaurants
und Hotels zunutze zu machen.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik