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4. Die Online-Stimmen von Verbrauchern in Form bringen 125
schmack oder virtuoser gastronomischer Erfahrung; sehr oft folgen sie einem
festen Procedere und konstatieren, dass Restaurants die elementaren Erwar-
tungen bezüglich der Qualität des Essens, des Service usw. erfüllen. Dieses
Vorgehen stimmt mit der Praxis des Lesens von Online-Kritiken überein, die
dazu tendiert, die Beurteilung eines Restaurants auf die Gewichtung einer
großen Menge von Meinungen zu stützen und dabei zu subjektive – egal ob
positive oder negative – außen vor zu lassen. Am Ende steht eine kumulative
Abschätzung von Schlüsselkriterien. Die Urteile sind also sozialisiert in dem
Sinne, dass sie in gewissem Maß von der antizipierten Nutzung durch andere
Konsumenten bestimmt werden; sie entsprechen einer Reihe von Konventio-
nen, die für kollektiv relevant gehalten werden.
Diese Beschreibung ist weit entfernt von der üblichen Vorstellung von iso-
lierten Konsumenten, die frei ihren subjektiven Gefühlen (der Freude oder
Enttäuschung) auf der Seite ihren Lauf ließen, die ihrerseits durch die schiere
Akkumulierung solcherart zusammenhangloser Stimmen Bedeutung ableite.
Bisherige Beschreibungen betonen oft den unregulierten Charakter von On-
line-Bewertungen:
»Bewertungen – die traditionell von einer kleinen Anzahl von anerkannten Experten, Kri-
tikern, Medien und Autoritäten hervorgebracht wurden, wobei diese formale, standar-
disierte und oft institutionalisierte Kriterien benutzten, die auf professionellem Wissen
und industrieller Erfahrung basierten – werden nun auch (und immer häufiger) online
von einer großen Zahl von anonymen und verstreuten Konsumenten produziert, die in-
formelle, variable und individuelle Kriterien benutzen, die auf persönlichen Meinungen
und Erfahrungen basieren.« (Orlikowski/Scott 2014: 868)
Amateurbewertungen werden von Orlikowski und Scott als auf instabilen und
persönlichen Kriterien basierend beschrieben – »personalisierte und oftmals
widersprüchliche Einschätzungen«, »flüchtige Urteile einer zerstreuten und
geisterhaften Menge« –, die unstete Formate annehmen: »Kritiken variieren in
der Länge zwischen einem Satz bis zu einem ganzen Essay« und »in den ver-
schiedensten Stilen« auftauchen. Für diese Forscher ist es letztlich allein das
Verdienst von Webseite und Algorithmus, wenn daraus Bedeutung entsteht:
TripAdvisors Ranking Algorithmus »bringt die unregulierten und anonymen
Meinungen vieler Konsumenten zum Ausdruck«.
Im Gegensatz dazu meinen wir, dass zumindest ein Teil der Effektivität
dieses Phänomens auf der Fähigkeit ihrer Nutzer beruht, ein kohärentes Nut-
zungsmuster aufzubauen, das ihre Bewertungsaktivität auf ein gemeinsames
Ziel hin reguliert. Die Seite baut auf eine »Bewertungskultur« (MacKenzie
2011), die Nutzer anleitet, wie man Bewertungen liest und schreibt. MacKen-
zie hat mehrere Kriterien bestimmt, die es erlauben, eine Reihe kultureller
Repräsentationen, die eine Richtlinie für Bewertungen darstellen, näher zu
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik