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Joseph
Klett166
wird weniger Aufmerksamkeit verwendet. Aber Code gibt es nur verwirklicht
in phänomenalen Medien, als Beziehungen zwischen den Objekten, die sie
repräsentieren, und den Subjekten, die sie wahrnehmen (Coleman 2010). Stu-
dien zur Auseinandersetzung mit digitalen Technologien zeigen, wie weit die
technische Bedienung eines Apparates in kognitiver, sinnlicher und prakti-
scher Beziehung eines Subjekts bedarf (Schüll 2012). In diesem Sinne verfügt
Medientechnologie gar nicht über unbegrenztes interaktives Potenzial. Eher
sind es Medien wie Immersive Audio, die eine bestimmte Beziehung während
der Nutzung mit-produzieren.
Für die Techniker von Mantle R&D sind Körper und Raum, die Klangre-
flexionen produzieren, wichtig, denn mit ihnen werden Klänge in allererster
Linie klanglich. Im Einvernehmen mit der objektorientierten Programmie-
rung virtueller und erweiterter Wirklichkeiten entwickelt sich im Umkreis re-
lationaler Modelle der Wahrnehmung eine Kultur der Tontechnik – inspiriert
von der Psychoakustik, der Kognitionswissenschaft und der Audiologie. Diese
Kultur ist in erster Linie algorithmisch, denn nur mithilfe geschickten Hoch-
leistungsrechnens kann unsere Wahrnehmung so effektiv mediatisiert wer-
den. Wenn Klänge physische Entitäten mit definierten Grenzen sind, können
Techniker Wahrnehmung besser auf einen Algorithmus modellieren, der uns
die Arbeit des Hörens reflexiv abnimmt.3
Nach der Kalibrierung von AURA sammelt Stefan jetzt erste Hörerdaten, wobei er den
Dummy-Torso als sein Subjekt nimmt. Eifrig schaltet er zwischen dem Computer-Bild-
schirm auf seinem Schreibtisch und dem Dummy-Subjekt im Zentrum des Experiment-
aufbaus hin und her.
Mike, der gerade kommt, um Leute zum Lunch abzuholen, macht sich an den Dummy he-
ran und fragt: »Na, wie geht’s dem Jungen?« Noch beim Tippen hebt Stefan den Kopf und
blickt auf den Oberkörper, der sich leicht schief auf einem Schreibtischstuhl lümmelt.
»Ein bisschen instabil, aber okay, solange ihn keiner anfasst.«
3 | Man sollte beachten, dass die Bedeutung von »subjektiv« in diesem Zusammen-
hang sehr spezifisch definiert ist. Die Körper und Räume, die mithilfe von Immersive Au-
dio modelliert werden, sind statisch, passiv. Die individuelle Voraussetzung eines Sub-
jekts bestehen im Wesentlichen darin, über einen Oberkörper mit Schultern erkennbarer
Breite und über einen Kopf mit fleischigen Ohren zu verfügen. Andere Wahrnehmungs-
unterschiede werden zu anderer Zeit wiedergegeben oder als für die Wahrnehmung von
Audio unnötig verworfen. In Anlehnung an Sternes (2003) Geschichte der Anfänge von
Audio kann man sagen, dass die Klang-Erfahrungen in sogenanntem Immersive Audio
oft bis zur Indexikalität überreduziert sind. In diesen Technologien »schwingen unsere
Ohren in sympathischer Resonanz mit Maschinen, die für uns hören«.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik