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9. Social Bots 229
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit angetrieben. Sie implementieren erfolg-
reich die Logik des Kostenlosen (»free as in free beer«), bei der die Monetari-
sierung auf undurchsichtigen Geschäften mit Daten beruht, von denen dieje-
nigen, die die Daten liefern – die Benutzer – nichts mitbekommen. Social Bots
sind insofern nur die unterdrückte, komplementäre Seite dieses Geschäftsmo-
dells. Und während Medienpiraterie bereits seit Jahrzehnten ein vielschich-
tiger Kampfschauplatz ist, zeichnet sich ab, dass Datenpiraterie die nächste
Stufe dieses Kampfes einer Ökonomie ist, die von Verdatung lebt. Indem sie
erfolgreich die Währung ›Vertrauen‹ auf Sozialen Medien attackieren und aus-
nutzen, zeigen sie gleichzeitig den hohen Grad an algorithmischer Entfremdung
an, den diese Plattformen produzieren. Die Tatsache, dass diese Bots es schaf-
fen, erfolgreich als Menschen durchzugehen, bezeugt den äußerst prekären
und sich wandelnden Status von Sozialität, der durch diese Plattformen Reali-
tät geworden ist.
Es ist in diesem Sinne interessant, dass diese dunkle Seite der Internet-
kultur bisher wenig erforscht wird. Jenseits der üblichen Ausnahmen (Parikka
2007; Parikka/Sampson 2009; Brunton 2013) scheint die Internetforschung
selbst von den Mythen der Effektivität und Immaterialität des Netzes geblen-
det zu sein, der den Diskurs über das Netz seit den 1990ern formiert hat. Ein
materialistischer Zugang müsste zu eben diesen vernachlässigten Figuren wie
den Bots als algorithmische Piraten arbeiten, oder, um ein anderes Beispiel das
kaum erforscht wird zu nennen, zu der Tatsache, dass die Pornoindustrie mitt-
lerweile eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Standards wie Streaming-
Technologien und Traffic Routing (Chun 2005) geworden ist. Das Internet als
gigantische Maschine »um mehr Lärm zu produzieren« (Lovink 2005: 10), hat
unzählige Aktanten. Social Bots gehören unbedingt dazu.
Des Weiteren können moralische oder legalistische Diskurse keine Er-
kenntnisse zur materiellen Seite des Internet produzieren: Facebooks Verbot
der Darstellung stillender Mütter, bzw. deren Zensursystem generell, auch
und gerade weil es legal ist, da es mit den Benutzungsbedingungen überein-
stimmt, wäre ein weiterer Aspekt, der zeigt, dass Algorithmen Mitregierende
in der Formatierung und Bewertung von Ausdrucksvermögen geworden sind.
Sie bestimmen, was im kommerziellen Netz möglich ist und was nicht, und
kontrollieren effektiv die Bedeutung von Beiträgen durch ihre vollkommen be-
schränkten und normativen Konzepte dessen, was Wörter und Bilder bedeuten
– der Alptraum des Dichters.
Social Bots lassen sich insofern auch als Varianten solch Mitregierender
verstehen, auch wenn sie teils inoffiziell oder schadhaft sind, und damit mit
geringerer systemischer Handlungsfähigkeit als ihre ›Kollegen‹ ausgestattet
sind, den offiziellen Algorithmen der Plattformen, mit denen sie konkurrie-
ren. Darum ist die Sicht auf sie als Parasiten nicht ausreichend. Sie sind viel-
mehr das Komplementäre der Datenindustrie, möglich geworden durch die
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik