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ALJ 1/2015 Stefan Arnold 8
leisten Kunstgegenstände sicher einen wesentlichen Beitrag zu dieser Identität.24 Diese faktische
Besonderheit von Kunstgegenständen – ihr Beitrag zur Identität der Nationen – ließe sich gewiss
auch im Internationalen Sachenrecht stärker berücksichtigen25: Man könnte für den Eigentums-
erwerb eben an das Recht der in ihrer Identität betroffenen Nation anknüpfen – in Abweichung
vom Grundsatz der lex rei sitae-Anknüpfung.26 Anzuknüpfen wäre dann an eine lex originis, ver-
standen als das – freilich noch näher zu bestimmende – „Heimatrecht“ des Kunstwerks.27 Dieser
Weg wird zwar noch nicht ausdrücklich für das österreichische Internationale Sachenrecht be-
schritten; die maßgeblichen Argumente lassen sich jedoch auf das österreichische Kollisionsrecht
übertragen. Geschichtlich hat dieser Vorschlag seine Wurzeln schon im 19. Jahrhundert.28 Für ihn
spricht, dass das Internationale Sachenrecht mit der Anknüpfung an die lex originis die oben be-
schriebenen Besonderheiten von Kunstgegenständen berücksichtigen würde; darin zeigt sich
eine im Grunde begrüßenswerte Konkretisierung des Kollisionsrechts. Dazu tritt die Forderung
nach einer Integration des Irrationalen und des Gefühls in das Kollisionsrecht.29 Dieser Forderung
würde es entsprechen, auch das Affektionsinteresse der Nationen kollisionsrechtlich zu berück-
sichtigen – durch eine Anknüpfung an die lex originis.30 Den Vertretern dieser Auffassung zufolge
hat zudem der Verkehrsschutz als Geltungsgrund der Situs-Regel bei Kunstgegenständen weniger
Gewicht.31
Trotz dieser beachtlichen Argumente32 ist die Anknüpfung an die lex originis des Kunstgegenstan-
des für das österreichische Kollisionsrecht abzulehnen. Zunächst bleibt es ja auch bei einer lex
originis-Anknüpfung weitgehend beliebig, ob die rechtliche Integration nationalen Affektionsinter-
esses gelingt. Das Kollisionsrecht kann die Rückbindung von Kunstwerken an die sie jeweils rezi-
pierenden Nationen nicht sicher leisten. Es beantwortet ja nur die Frage nach dem anwendbaren
Recht, nicht die Frage nach dem konkreten Rechtsanwendungsergebnis. Es hängt also allein vom
Zufall ab, ob die lex originis die Heimkehr der Kunstwerke eher befördert als die lex rei sitae.33 Ein
Schutz der jeweiligen Nationen könnte nur sichergestellt werden, wenn bei Kunstgegenständen
die Suche nach dem „Sitz des Rechtsverhältnisses“ aufgegeben werden würde – zugunsten einer
Suche nach dem für die betroffenen Nationen günstigsten Anwendungsergebnis.34 Dann ginge es
allerdings nicht mehr um die kollisionsrechtliche Anknüpfungsgerechtigkeit, sondern um die
24 Deutlich etwa Jayme, Entartete Kunst 24, der in Kunstwerken Energien verkörpert sieht, die auch die Identität der
Nation ausdrücken, die es als das ihre rezipiert; vgl auch Anton in M. Weller/Kemle/T. Dreier/Lynen 193; Jayme, Antonio
Canova und das nationale Kunstwerk – Zur Ideengeschichte des europäischen Kulturgüterschutzes (1994), in
Jayme (Hrsg), Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht (1999) 1; ders in Reichelt 7.
25 So insbesondere Jayme in zahlreichen Schriften, vgl etwa Jayme in Dominicé ua 718 ff; ders in Jayme 1; ders in
Reichelt 7; ders, Entartete Kunst 21 ff; siehe auch Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrens-
recht 803 ff; Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 258 ff.
26 Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrensrecht 803 ff; Damm in Hoeren/Holznagel/Ernst-
schneider 258 ff.
27 Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 258 ff; Jayme in Dominicé ua 723 ff; ders in Jayme 1; ders in Reichelt 7; Anton,
Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrensrecht 803 ff; Jayme, Entartete Kunst 21 ff.
28 Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 263; Jayme, Entartete Kunst 22; Zur Vereinbarkeit des lex originis-Ansatzes
mit Savigny’s Aussagen zum internationalen Sachenrecht vgl Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivil-
verfahrensrecht 926 f.
29 Kienle/M. Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, 290 (292).
30 Kienle/M. Weller, IPRax 2004, 292; s auch Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 258 ff.
31 Stoll in Dolzer/Jayme/Mußgnug 59 f; Kienle/M. Weller, IPRax 2004, 291; Mansel, IPRax 1988, 270 f; vgl auch Wiese in
FS Siehr 84 mwN.
32 Vgl auch Mansel in Staudinger, BGB (2015) Art 46 EGBGB Rn 77 ff.
33 Schack, Kunst und Recht2 Rz 523 ff; dazu auch Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrensrecht,
915 ff mwN.
34 Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrensrecht 921 ff mwN.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 188
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal