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ALJ 1/2015 Eigentumsschutz und Verkehrsschutz bei Kunstgegenständen 17
faltsmaßstäbe beim Erwerb von Sachen, die üblicherweise im vorbehaltenen Eigentum stehen.96
Gleiches gilt für den praktisch wichtigen Bereich des Kfz-Erwerbs.97
Auch für Kunstgegenstände sollten auf der Grundlage des § 368 Abs 2 ABGB strenge Nachfor-
schungsobliegenheiten angenommen werden. Der innere Grund leuchtet vor allem aus einer
regulativen Perspektive des Privatrechts ein98: Das Privatrecht kann nicht nur zum Schutz kultu-
rell besonders bedeutsamer Gegenstände beitragen, sondern auch zur Lauterkeit des österrei-
chischen Kunsthandels und der Eindämmung des Schwarzmarkts. § 368 Abs 2 ABGB begründet
daher bei Verdachtssituationen eine Obliegenheit des Erwerbers, die Eigentumsverhältnisse an
dem Kunstgegenstand zu überprüfen. Verletzt er diese Obliegenheit, scheidet ein gutgläubiger
Erwerb aus. Zur Erfüllung dieser Nachforschungsobliegenheiten wird der Erwerber insbesondere
die Herkunft des Kunstgegenstandes überprüfen, also eine sogenannte „Provenienzerforschung“
anstellen müssen.99 Die Konkretisierung der Nachforschungsobliegenheiten bleibt in erster Linie
der Rechtsprechung vorbehalten. Im Folgenden kann es naturgemäß nur um eine unvollständige
Erörterung der hierfür relevanten Elemente gehen.
Explizit benennt § 368 Abs 2 ABGB die besondere Bedeutung des Kaufpreises in Relation zum
Wert der Sache: Wird etwa weit unter Wert verkauft, muss der redliche Erwerber skeptisch wer-
den und Nachforschungen anstellen. Das ABGB weist auch den Weg zu subjektiven Elementen,
wenn es die „dem Erwerber bekannten persönlichen Eigenschaften seines Vormanns“ benennt.
Dieser Gedanke ist verallgemeinerungsfähig: Strenge Maßstäbe sollten vor allem dann gelten,
wenn der Erwerber kraft seiner Profession oder Ausbildung über Fachwissen verfügt, also etwa
Kunsthändler, Galerist oder Kunsthistoriker ist. Bei Laien ist dagegen ein milderer Maßstab ge-
rechtfertigt.100 Natürlich ist auch die kulturelle und wirtschaftliche Eigenart des betroffenen
Kunstwerks zu berücksichtigen101 – als Beispiel der „Natur der Sache“ iSd § 368 Abs 2 ABGB.
Ebenso können die konkreten Erwerbsumstände Verdacht erwecken102: Erfolgte der Erwerb au-
ßerhalb gewöhnlicher Geschäftsöffnungszeiten? Wurde er an außergewöhnlichen Orten vorge-
nommen, wie etwa auf dem Anhänger eines LKWs im Hafenbereich oder in der Freihandelszone
eines Flughafens? Gibt es Diebstahlsspuren – war etwa das Bild mit der Leinwand nach innen
gerollt?103 Verdacht muss es auch erwecken, wenn es der Veräußerer ungewöhnlich eilig hat,
oder wenn er ausweichend auf Fragen reagiert – etwa zu seinem Veräußerungsgrund oder der
Provenienz des Bildes.104
96 RIS-Justiz RS0010168 (T1) zuletzt OGH 9. 7. 2014, 7 Ob 116/14f; Illedits in Schwimann, ABGB-TaKom2 § 368 Rz 4;
Leupold in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang ³ § 368 Rz 9; Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb 410.
97 RIS-Justiz RS0080039; RIS-Justiz RS0080033; RIS-Justiz RS0010891 (T8); OGH 8 Ob 78/07i ZVR 2008/152 (Huber) =
RdW 2008/344 = ÖJZ 2008/57. Illedits in Schwimann, ABGB-TaKom2 § 368 Rz 3; Leupold in Fenyves/Kerschner/Von-
kilch, Klang ³ § 368 Rz 9; Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb 410.
98 Zur regulativen Perspektive des Privatrechts S. Arnold, Vertrag und Verteilung (2014) 5 ff mwN.
99 Zur Provenienzerforschung etwa Anton, JR 2010, 419 f; Müller-Katzenburg, NJW 1999, 2556. Skeptisch (allerdings zum
deutschen Recht, das den gutgläubigen Eigentumserwerb gem § 932 BGB erst bei grober Fahrlässigkeit scheitern
lässt) Oechsler in Rixecker/Säcker/Oetker, MüKo BGB VI6 § 932 BGB Rz 64 f. Vgl auch § 4a Kunstrückgabegesetz.
100 Zu diesen Umständen instruktiv mit Blick auf das deutsche Sachenrecht Anton, JR 2010, 419 f; Müller-Katzenburg,
NJW 1999, 2556.
101 Auch dazu Anton, JR 2010, 419 f.
102 Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 368 Rz 3 f mwN; Oechsler in Rixecker/Säcker/Oetker, MüKo BGB VI6 § 932
BGB Rz 49, 64; Schulte-Nölke, HK-BGB8 (2014) BGB § 932 Rz 12; Schack, Kunst und Recht2 Rz 531 f; Anton, JR 2010, 420.
103 Zum Barkauf (€ 65.000,-) einer Gragnani-Geige nahe des Hauptbahnhofs vgl OLG München 19 U 4018/02 NJW
2003, 673; Oechsler in Rixecker/Säcker/Oetker, MüKo BGB VI6 § 932 BGB Rz 49; Schack, Kunst und Recht2 Rz 532
Anton, JR 2010, 420.
104 Vgl Schack, Kunst und Recht2 Rz 529 f; Anton, JR 2010, 420.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 188
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal