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ALJ 1/2015 Stefan Börger 146
Die Kommission wertet die Umsetzung von Binnenmarktrichtlinien – Richtlinien, von denen an-
genommen wird, dass sie sich positiv auf die Funktionsweise des Binnenmarkts iSd Art 26 und
114 Abs 1 AEUV auswirken11 – durch die Mitgliedstaaten regelmäßig statistisch aus.
Auch wenn man dieser Auswertung nur bedingte Relevanz zumessen kann – sie ist eine Mo-
mentaufnahme und konzentriert sich alleine auf Fristen, ohne etwas ĂĽber die Umsetzungsquali-
tät zu sagen –, so ist doch auffällig, dass Österreich hier traditionell nicht unter den zügigen Um-
setzern ist.
Ă–sterreich war beispielsweise im Vergleich des Umsetzungsdefizits12 letztmalig 2009 besser als
der EU-Durchschnitt; die aktuelle Statistik von Mai 2014 weist Ă–sterreich sogar als Schlusslicht
unter den EU-28 in der fristgerechten Umsetzung von Binnenmarktrichtlinien aus. Ă–sterreich
scheint daher tatsächlich strukturell vergleichsweise langsam in der Umsetzung zu sein.13
Eine solche Auswertung, die sich mit der Geschwindigkeit von Richtlinienumsetzungen im Bin-
nenmarkt beschäftigt, sollte allerdings immer parallel zur Frage gesehen werden, wie viele Ver-
tragsverletzungsverfahren gegen einen Staat anhängig sind. Dadurch wird auch die Frage der
Rechtsanwendung relevant und Rückschlüsse darauf sind möglich, ob Richtlinien zwar formal
richtig – und fristgerecht – in nationales Recht übernommen wurden, durch möglicherweise weit-
gehend wörtliche Übernahme des mitunter vagen Richtlinientextes das Problem des unions-
rechtskonformen Vorgehens aber nur auf die Anwendungsebene verlagert wurde. In dieser Sta-
tistik ist Österreich seit vielen Jahren durchgängig besser als der EU-Schnitt.14
Aktuell15 gibt es gegen Österreich 16 anhängige Vertragsverletzungsverfahren ab der zweiten
Verfahrensstufe gemäß Art 258 AEUV. Davon betreffen 11 Verfahren die Umsetzung von Unions-
recht und nur 5 betreffen Anwendungsfälle.
Betrachtet man diese 11 Verfahren, in denen es um die Umsetzung von Richtlinien (bzw in einem
Fall auch um den Erlass von begleitenden Maßnahmen zu einer Verordnung) aus föderaler Sicht
ging, so betreffen 8 dieser Verfahren nur den Bund und nur 3 betreffen Richtlinien, die sowohl
vom Bund als auch von den Ländern umzusetzen sind.
Obwohl dies eine Momentaufnahme ist, entspricht es doch auch den Erfahrungen der DurchfĂĽh-
rung von Unionsrecht in den letzten Jahren; eine föderale Struktur erleichtert die Umsetzung von
Richtlinien zweifellos nicht und ist in verschiedenen Fällen auch Grund für Verzögerungen. Ande-
rerseits sind diese Fälle tatsächlich keineswegs die Regel, sodass der „Faktor 10“ kein grundsätzli-
ches Umsetzungserschwernis darstellt.
11 Dazu zählen die 4 Grundfreiheiten und flankierende Maßnahmen mit direkten Auswirkungen auf den Binnen-
markt, zB Steuern, Beschäftigung und Sozialpolitik, Bildung und Kultur, Gesundheitswesen und Verbraucher-
schutz, Energie, Verkehr, Umwelt, Informationsgesellschaft und Medien; zum Stichtag 1. 4. 2014 waren dies
1.221 Richtlinien.
12 Der Europäische Rat legte 2007 fest, dass sich die Mitgliedstaaten ab dem 1. 1. 2009 um ein Umsetzungsdefizit,
dh die Zahl nicht umgesetzter Richtlinien, von höchstens 1 % bemühen müssen. Eine zweite Norm legt die Null-
Toleranz bezüglich Richtlinien fest, die eine Umsetzungsverzögerung von 2 Jahren haben.
13 Allerdings gibt es hierbei auch keine Gesetzmäßigkeit, wie sich eine Mehrzahl von Gesetzgebern innerhalb eines
Staates auswirkt – nur unwesentlich besser als Österreich sind in der aktuellen Statistik etwa Slowenien und Zypern,
beides Staaten ohne regionale Gesetzgebungszuständigkeiten; die Statistik ist abrufbar unter: http://ec.europa.eu/
internal_market/scoreboard/performance_by_governance_tool/transposition/index_de.htm (abgefragt am 26. 2.
2015).
14 Die Statistik ist abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/scoreboard/performance_by_governance_
tool/infringements/index_de.htm (abgefragt am 26. 2. 2015).
15 Stand 1. 1. 2015
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Austrian Law Journal
Volume 1/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 188
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal