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ALJ 1/2016 Erlebt Schengen eine „Renaissance“ oder geht es unter? 3
es wohl probieren müssen.“5 In welchen Zeiten leben wir eigentlich, in denen Bestechung lokaler
Behörden als Allheilmittel zur Eindämmung einer überbordenden Flüchtlings- und Migrantenwelle
empfohlen werden muss?
Dass nach dem Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ die für das Anlaufen der Flüchtlingsströme
sowohl auf der Seeroute, als auch auf dem Landweg, geographisch günstig gelegenen Mittelmeer-
staaten Italien und Griechenland die Hauptlast der Sicherung der Schengen-Außengrenze zu tragen
haben würden, war absolut absehbar, ohne dass daraus aber unmittelbare Konsequenzen gezogen
wurden. Jahrelang sah man Italien „von der Loge aus“ distanziert zu, wie es mit der außerge-
wöhnlichen Situation der geschleppten und auf Lampedusa anlandenden „boat people“ mehr
schlecht als recht zurechtkam, ohne ihm aber entsprechende finanzielle und logistische Unterstüt-
zung zu gewähren. Erst als Italien begann, den Flüchtlingen und Migranten dreimonatige Schengen-
Kurzvisa auszustellen, mit denen diese in der Folge versuchten, im „Schengen“-Raum das Land ihrer
Wahl zu erreichen, begann man zu reagieren und legte Italien dringend nahe, diese Vorgangsweise
zu unterlassen.
Die Verschärfung der Bürgerkriegssituationen in Libyen und in Syrien brachte schließlich das
„Schengen“-System an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit und ließ es mit dem Massenansturm
von Flüchtlingen und Migranten über die Westbalkanroute in der zweiten Jahreshälfte 2015 kolla-
bieren. Die Gegenmaßnahmen der Kommission, die neben der Verabschiedung der „Massenzu-
strom“-Richtlinie (2001)6 vor allem in der Ausarbeitung der im „Gemeinsamen Europäischen Asylsys-
tem“ (GEAS)7 vorgesehenen einschlägigen Maßnahmen sowie der Verabschiedung einer „Europäi-
schen Migrationsagenda“ (2015)8 bestanden, griffen zu kurz und konnten die sich um die Jahres-
wende 2015/2016 weiter verschärfende Problemlage nicht bewältigen. Von der in Art 78 Abs 3
5 RAU, Bestechung, Der Standard vom 22. 4. 2016, 1.
6 RL 2001/55/EG des Rates vom 20. 7. 2001über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes
im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Vertei-
lung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind,
auf die Mitgliedstaaten ABl L 2001/212, 12 ff; vgl dazu Tretter, Flüchtlingskrise: Vorübergehender Schutz als mög-
licher Ausweg, Die Presse vom 31. 1. 2016.
7 Das GEAS besteht aus der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 zu gemein-
samen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 2013/180, 60 ff, der RL
2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 zur Festlegung von Normen für die
Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl L 2013/180, 96 ff, der RL 2011/95/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsan-
gehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status
für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes, ABl L 2011/337, 9 ff, der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 2008
über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaats-
angehöriger, ABl L 2008/348, 98 ff, der VO (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6.
2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines
von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen
Schutz zuständig ist, ABl L 2013/180, 31 ff, der VO (EU) 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
26. 6. 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven
Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des
Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitglied-
staat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfol-
gung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols
auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung ei-
ner Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicher-
heit und des Rechts, ABl L 2013/180, 1 ff, sowie der VO (EG) 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes vom 9. 7. 2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaa-
ten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS-Verordnung), ABl L 2008/218, 60 ff.
8 COM(2015) 240 final vom 13. 5. 2015 und COM(2015) 490 final vom 23. 9. 2015.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2016
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2016
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 110
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal