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ALJ 1/2016 Erlebt Schengen eine „Renaissance“ oder geht es unter? 5
In der Folge soll zunächst das „Schengen“-System und das dazu komplementäre „Dublin“-System
sowie deren Überführung als zunächst völkerrechtliche Instrumente in die EU als Teilbereiche
des „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ kurz dargestellt werden. Im Anschluss
daran werden die Bemühungen der Kommission aufgezeigt, ein Scheitern beider Systeme zu
verhindern und für die Rückkehr zu einem funktionierenden „Schengen“-Raum bis spätestens
Ende 2016 einen detaillierten „Fahrplan“ samt den dafür notwendigerweise zu ergreifenden
Maßnahmen aufzustellen. Den Abschluss bildet eine Darstellung des worst case, nämlich der
politischen und finanziellen Folgen eines kompletten Zusammenbruchs des „Schengen“-Systems
und der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen.
II. Das „Schengen“- und „Dublin“-System
Ausgehend vom „Weißbuch der Kommission über die Vollendung des Binnenmarktes“ vom 14. 6.
198517 wurde am 17. bzw 28. 2. 1986 die „Einheitliche Europäische Akte“ beschlossen,18 die ua die
Errichtung eines Binnenmarktes in der EU innerhalb von sechs Jahren, dh bis zum 31. 12. 1992,
vorsah. Dies bedeutete aber, dass die nunmehr im Binnenmarkt allgemein bzw beruflich mobil
werdenden Unionsbürger – entweder als unselbständig (freizügigkeitsbegünstigte Wanderarbeit-
nehmer) oder als selbständig Erwerbstätige (Erbringer von Dienstleistungen oder als niederge-
lassene Unternehmer) – sich frei über die Binnengrenzen in der EU hinweg bewegen durften,
ohne dabei einer Personenkontrolle unterworfen zu sein. In praxi war das aber nur schwer
durchzuführen: Kam nämlich eine Gruppe von Fremden auf eine Binnengrenze zu, dann mussten
die Zöllner ja alle Personen kontrollieren, um damit feststellen zu können, wer als Nicht-
Unionsbürger einer Personen- und Zollkontrolle unterworfen werden muss bzw wer als werktätiger
Unionsbürger einer solchen nicht hätte unterzogen werden dürfen. Um die zu kontrollierenden
„Nicht-Unionsbürger“ zu identifizieren, mussten also unvermeidlich auch die an sich frei mobilen
Unionsbürger kontrolliert werden. Um dieses an sich unlösbare Problem überhaupt nicht erst
auftreten zu lassen, wurde daher der Vorschlag gemacht, von einer Personenkontrolle an den
EU-Binnengrenzen gänzlich abzusehen.
Dieser „radikalen“ Philosophie – eine Reihe der damaligen EWG-Mitgliedstaaten fürchtete im Falle
eines Wegfalls der Personenkontrollen (von Nicht-Unionsbürgern) an den Binnengrenzen ein
„Überschwappen“ der Kriminalität in ihre Staatsgebiete – konnten sich zunächst nur ganze fünf
Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften anschließen, die 1985 das völkerrechtliche
Schengener Übereinkommen („Schengen I“)19 abschlossen, das in der Folge durch das Schengener
Durchführungsübereinkommen (SDÜ) (1990) („Schengen II“)20 inhaltlich ausgeweitet und auf
weitere Mitgliedstaaten ausgedehnt wurde.
Diese beiden bisherigen völkerrechtlichen Übereinkommen, Schengen I und Schengen II, sowie die
auf deren Basis erlassenen sekundären Rechtsakte des Schengener Exekutivausschusses als Ver-
tragsanwendungsorgan derselben wurden in der Folge auf der Grundlage des dem Vertrag von
Amsterdam (1997) angefügten „Protokoll zur Einbeziehung des Schengen Besitzstands in den
17 KOM(85) 310 endg.
18 ABl L 1987/169, 1 ff.
19 Übereinkommen von Schengen vom 14. 6. 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschafts-
union, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der
Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl L 2000/239, 13 ff.
20 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (1985) (SDÜ) (1990), ABl L 2000/239, 19 ff.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2016
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2016
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 110
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal