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ALJ 1/2016 Ermessen im starkstromwegerechtlichen Bau- und Betriebsbewilligungsverfahren 48
sichtigungsgebot).33 Es liegt aber auf der Hand, dass gerade bei der Starkstromwegeplanung ein
über diese wechselseitigen Rücksichtnahmepflichten hinausgehender Koordinationsbedarf zwi-
schen den betroffenen Gesetzgebungs- und Planungsautoritäten besteht.34
Verstärkt wird dieser Koordinationsbedarf schließlich durch eine Grundsatzentscheidung des
österreichischen Starkstromwegerechts, keine vorausschauende, originär staatliche Starkstrom-
wegeplanung vorzusehen, sondern den genauen Verlauf der Starkstromwegetrassen erst im
Rahmen individueller Bau- und Betriebsgenehmigungsverfahren festzulegen.35 Gegenstand eines
solchen Verfahrens ist das einzelne Projekt, die Planungsinitiative bleibt nach dieser Regelungs-
systematik bei den Elektrizitätsnetzbetreibern.36 Raumplanerische Momente einfließen zu lassen
oder das Vorliegen eines spezifischen elektrizitätswirtschaftlichen Interesses an der konkreten
Trassenführung zu prüfen, ist der zuständigen Behörde damit im Starkstromwegerecht erst im
Rahmen der Erledigung eines eingebrachten Bau- und Betriebsbewilligungsantrages möglich.37
Das war solange kein Problem, als die Elektrizitätsunternehmen als Elektrizitätsnetzbetreiber
noch unter staatlicher Kuratel standen.38 Denn neben der politischen oder zivilrechtlichen Koor-
dinierung der Elektrizitätsnetzbetreiber bedurfte es keines weiteren rechtlichen Ordnungsrahmens
für die Lenkung und Planung von Netzinvestitionen und Netzausbau.39 Neuer Koordinationsbe-
darf entstand erst, nachdem der bisherige Ordnungsrahmen mit der Marktöffnung der Elektrizi-
tätswirtschaft und der Trennung von Netzbetreibern und Erzeugern seine Steuerungskraft verloren
hatte und notwendige Netzinvestitionsmaßnahmen insb aus wirtschaftlichen Gründen unterblie-
ben waren.40
C. Nationaler und europäischer Ordnungsrahmen
Der Ordnungsrahmen der Netzinvestitionsplanung, wie wir ihn heute kennen, schafft die erfor-
derliche Koordination sowohl auf nationaler wie auch auf unionaler Ebene.41 Auf nationaler Ebene
müssen die Übertragungsnetzbetreiber42 der nationalen Regulierungsbehörde jedes Jahr einen
zehnjährigen Netzentwicklungsplan für das Übertragungsnetz zur Genehmigung vorlegen,43 den
33 Lienbacher in Bachmann et al 458 f; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 Rz 287 f; Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger,
Bundesverfassungsrecht11 Rz 298, auch mit einer kritischen Anmerkung. Entwickelt wurde die Rücksichtnahme-
pflicht einer Gebietskörperschaft auf die Interessen der gegenbeteiligten Gebietskörperschaften in der Judikatur
des VfGH (grundlegend VfSlg 8831/1980; siehe auch VfSlg 10.306/1984; 15.281/1998; 17.854/2006; 18.096/2007;
19.434/2011). In seiner früheren Judikatur ging der VfGH noch nicht von einer Pflicht, sondern nur von einem
Recht aus, die Interessen der gegenbeteiligten Gebietskörperschaften zu berücksichtigen (VfSlg 3163/1957;
7138/1973).
34 IdS auch Neubauer/Onz/Mendel, Starkstromwegerecht § 1 StWG Rz 4; vgl B. Raschauer, Energierecht 56 f.
35 A. Hauer in ders/Nußbaumer 304; Berka, ZfV 2006, 323.
36 A. Hauer in ders/Nußbaumer 304.
37 A. Hauer in ders/Nußbaumer 304.
38 Lindermuth, Netzplanung 36 ff, insb 40 f und 54.
39 Fremuth, Aktueller Überblick und Entwicklungstendenzen, in FS Wenger (1983) 755 (760 f); Lindermuth, Netzplanung
38 f, insb 40.
40 Eingehend Lindermuth, Netzplanung 36 ff, insb 42, und 54 ff.
41 Lindermuth, Netzplanung 63 ff, 97 ff.
42 Sog Übertragungsnetzbetreiber sind nach der Legaldefinition des § 7 Z 70 Elektrizitätswirtschafts- und -organi-
sationsgesetz 2010 (ElWOG 2010), BGBl I 110/2010 (zuletzt BGBl I 174/2013), entweder natürliche oder juristische
Personen oder eingetragene Personengesellschaften, die verantwortlich für den Betrieb, die Wartung sowie er-
forderlichenfalls den Ausbau des Übertragungsnetzes und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen
Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes sind, eine angemessene Nachfrage
nach Übertragung von Elektrizität zu befriedigen. Übertragungsnetzbetreiber sind die Verbund-Austrian Power
Grid AG, die TIWAG-Netz AG und die VKW-Übertragungsnetz AG.
43 Das nationale Netzinvestitionsplanungsregime beruht auf unionalen Vorgaben; dazu Lindermuth, Netzplanung 97 ff.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2016
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2016
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 110
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal