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ALJ 1/2017 Rechtsschutz gegen Akte der Kriminalpolizei 19
gefunden werden.. aE). Im Hinblick auf die nun herrschende Rechtslage und die hM hierĂĽber ist
Folgendes auszufĂĽhren:
Erstens ist – wie vor 2008 bei Befehlen des Untersuchungsrichters – nicht sichergestellt, dass die
Betroffenen eines kriminalpolizeilichen Aktes Kenntnis darĂĽber erlangen, ob der Akt aufgrund
einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung gesetzt wurde. Anordnungen der Staatsanwaltschaft
über Zwangsmaßnahmen sind zwar gem § 102 Abs 1 S 2 StPO zu begründen und schriftlich aus-
zufertigen. Ob neben der Ăśbermittlung an die Kriminalpolizei auch eine Zustellung an die von der
Anordnung Betroffenen vorgeschrieben ist, ist fraglich; Abs 2 leg cit, der vorsieht, dass die Ausfer-
tigung eine Information ĂĽber die Rechte des von der Anordnung Betroffenen enthalten muss,
scheint davon auszugehen. Selbst wenn eine Zustellung der Anordnung an die Betroffenen vor-
gesehen ist, sind folgende Probleme zu beachten: Zum einen können von einem Akt Personen in
Mitleidenschaft gezogen werden, gegen die sich der Zweck des Einschreitens nicht unmittelbar
richtet; eine Zustellung an diese Personen wird idR unterbleiben. Zum anderen können Anord-
nungen in dringenden Fällen auch mündlich erteilt werden (§ 102 Abs 1 S 3 StPO); wiederum ist
der Fall zu beachten, dass die nachträgliche Zustellung oder gar der Vermerk in den Akten unter-
lassen wird.72 Die Unterlassung einer Zustellung oder eines Aktenvermerks kann fĂĽr die Zurech-
nung nicht entscheidend sein, da dies den beteiligten Organen die Macht gäbe, die Zuständigkeit
zum Rechtsschutz gegen einen Akt nachträglich zu beeinflussen, indem sie die Zustellung bzw
den Aktenvermerk durchführen oder nicht. Ist aber die Zurechnung davon unabhängig, ist die
Zurechnung und damit die Zuständigkeit zum Rechtsschutz in den Fällen, in denen die Zustellung
oder gar der Aktenvermerk unterbleibt, fĂĽr den von einem Akt Betroffenen nicht erschlieĂźbar.73
Zweitens sind mehrere Kriterien der Zurechnung kraft Auftrags keiner präzisen Abgrenzung zu-
gänglich. Zumindest zwei Abgrenzungskriterien sind rein quantitativ, wobei die entsprechenden
Quantitäten jeweils nicht messbar sind:74 Dies gilt erstens für die Frage, ob eine Anordnung der
Staatsanwaltschaft ausreichend determiniert ist, um Zurechnung kraft Auftrags auszulösen, und
zweitens fĂĽr die Frage, ob die Ăśberschreitung einer Anordnung offenkundig ist. Auch fĂĽr die Fra-
ge, ob Vorbereitungs- und Unterstützungsmaßnahmen eigenständigen Charakter haben oder als
implizit mitangeordnet gelten können, kann keine abstrakte Formel gefunden werden.75 Ob ein
Staatsakt als Justiz- oder Verwaltungsakt eingestuft wird und welcher Rechtsschutzweg demzu-
folge zulässig ist, ist für den Rechtsschutzsuchenden damit kaum vorhersehbar; der Rechts-
schutzsuchende ist – wie in der dem jüngsten Erkenntnis des VfGH zu § 106 Abs 1 StPO zugrunde
liegenden Konstellation – „vor eine nahezu unlösbare – und auch mit der geforderten Effektivität des
Rechtsschutzes unvereinbare – Aufgabe [gestellt]: Wird von diesem doch verlangt, ohne genaue Kennt-
nis der näheren Umstände innerhalb der Rechtsmittelfrist das zu leisten, was üblicherweise erst am
72 Vgl den Sachverhalt in VfSlg 3916/1961 (siehe oben FN 21).
73 In Bezug auf formlos gegebene Informationen der einschreitenden Organe bzw der zuständigen Behörde ist
außerdem auf die folgende Aussage des VfGH im jüngsten Erkenntnis zu § 106 Abs 1 StPO (VfSlg 19.991/2015)
hinzuweisen: „Es reicht auch nicht, dass der Betroffene berechtigt ist, von der Behörde Auskunft über die Rechtsgrund-
lage des Aktes zu verlangen: Diese Information kann falsch sein, zu spät erfolgen oder die Grundlage im Einzelfall für
die Behörde selbst unklar sein, was jeweils zu Lasten des Rechtsschutzwerbers ausschlägt.“
74 Vgl zu einer solchen bloĂź graduellen Abgrenzung, in concreto von ineinander ĂĽbergehenden Begriffen VfSlg 8349/
1978: VerstoĂź gegen Art 18 Abs 1, Art 83 Abs 2 und Art 94 B-VG durch eine Bestimmung, die die Verfolgung von
Handlungen, die die Ehre und Würde des Standes der Notare „beeinträchtigen“ in die Kompetenz der Notariats-
kammer, die Verfolgung von Handlungen, die die Ehre und Würde „bloßstellen“ hingegen in die Kompetenz des
Oberlandesgerichts legte.
75 Siehe zu den Problemen der beiden zuletzt genannten Kriterien FN 22 und 23.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2017
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 56
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal