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ALJ 2018 „Negativzinsen“ – Bestandsaufnahme und weitere offene Fragen 48
In der Lehre herrscht Uneinigkeit darüber, wie weit die Erläuterungspflicht des Kreditgebers im
Einzelnen reicht. Dehn158 und Heinrich159 gehen etwa davon aus, dass dem Verbraucherkredit-
nehmer – gemessen an seinen Zielvorstellungen – gewisse Handlungsalternativen vor Augen
geführt werden müssen.160 Pesek161 vertritt hingegen die Meinung, dass ein Hinweis auf alternati-
ve Produkte nicht geboten sei. Dem ist jedenfalls insoweit zuzustimmen, als der Kreditgeber in
keinem Fall auf günstigere Konkurrenzprodukte aufmerksam machen muss.162
Folgt man der überwiegenden Auffassung,163 müsste der Kreditgeber die Hauptmerkmale der
jeweiligen kreditvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten und -varianten dem Kreditnehmer erläu-
tern. Zu den Hauptmerkmalen zählen nicht nur die Hauptleistungspflichten, sondern auch die
sonstigen Besonderheiten des Kreditvertrags; dies gilt insb für die Auswirkungen eines variablen
Sollzinssatzes.164 Dem Kreditnehmer müssen die konkreten Vor- und Nachteile der in Betracht
kommenden Handlungsalternativen vor Augen geführt werden.165 Knops166 geht in diesem Punkt
sogar noch weiter und verlangt, dass der Kreditgeber „das beste und günstigste hauseigene Produkt
anbieten muss“. Dem ist mE nicht zu folgen: Die Erläuterungspflicht soll den Verbraucherkredit-
nehmer in die Lage versetzen, eigenständig beurteilen zu können, welcher der vom Kreditgeber
angebotenen Kreditverträge am besten seinen Bedürfnissen entspricht. Der Kreditgeber hat den
Kreditnehmer vollständig und richtig über die zur Auswahl stehenden Kreditverträge zu informie-
ren und auf die jeweiligen Auswirkungen und Risiken hinzuweisen.167 Es obliegt dann alleine dem
Kreditnehmer, sich für ein bestimmtes Angebot zu entscheiden. Eine Pflicht, den Verbraucher-
kreditnehmer auf ein – aus Sicht des Kreditgebers – vermeintlich besser geeignetes Alternativ-
produkt hinzuweisen, besteht nicht.
Die Erläuterungspflicht besteht auch ohne ein entsprechendes Informationsersuchen des Kredit-
nehmers168 und hat in jedem Fall rechtzeitig vor dem Vertragsabschuss zu erfolgen.169 Nur soweit
der Verbraucherkreditnehmer erkennbar nicht informationsbedürftig ist, entfällt die Erläute-
rungspflicht.170 Der Kreditgeber darf hierbei vom Kenntnis- und Verständnishorizont eines durch-
158 In Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht IV2 Rz 2/41.
159 In Schwimann/Kodek Va4 § 6 VKrG Rz 37.
160 Ebenso wohl Stabentheiner, Das Verbraucherkreditgesetz, ÖJZ 2010, 531 (538); aus deutscher Sicht Rott, WM
2008, 1109; Herresthal, WM 2009, 1180; Schürnbrand in MüKoBGB IIIa7 § 491a BGB Rz 67; Artz in Bülow/Artz, Ver-
braucherkreditrecht9 § 491a BGB Rz 32; Knops in BeckOGK BGB § 491a BGB Rz 89 f.
161 Der Verbraucherkreditvertrag (2012) 74 ff.
162 Vgl Pesek, Verbraucherkreditvertrag 76 f; idS auch Rott, WM 2008, 1109; ders in Tamm/Tonner, Verbraucherrecht2
Rz 16/63; Knops in BeckOGK BGB § 491a BGB Rz 90.
163 Dehn in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht IV2 Rz 2/41; Heinrich in Schwimann/Kodek Va4 § 6 VKrG Rz 37; Stabenthei-
ner, ÖJZ 2010, 538; Artz in Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht9 § 491a BGB Rz 32.
164 Heinrich in Schwimann/Kodek Va4 § 6 VKrG Rz 37; Schürnbrand in MüKoBGB IIIa7 § 491a BGB Rz 67; Artz in
Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht9 § 491a BGB Rz 32; Rott in Tamm/Tonner, Verbraucherrecht2 Rz 16/64.
165 Herresthal, WM 2009, 1180; Schürnbrand in MüKoBGB IIIa7 § 491a BGB Rz 67.
166 In BeckOGK BGB § 491a BGB Rz 90. Anders auch Derleder, Die vollharmonisierende Europäisierung des Rechts
der Zahlungsdienste und des Verbraucherkredits, NJW 2009, 3195 (3199): „keine Gewähr des optimalen Kredits“.
167 Vgl Nobbe, Neuregelungen im Verbraucherkreditrecht, WM 2001, 625 (629).
168 Dehn in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht IV2 Rz 2/40; Zöchling-Jud in Wendehorst/Zöchling-Jud, Verbraucherkre-
ditrecht § 6 VKrG Rz 18; Stabentheiner, ÖJZ 2010, 538; vgl zum Meinungsstand in Deutschland Schürnbrand in
MüKoBGB IIIa7 § 491a BGB Rz 69 mwN.
169 Dehn in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht IV2 Rz 2/42; Stabentheiner, ÖJZ 2010, 538; s ferner Schürnbrand in
MüKoBGB IIIa7 § 491a BGB Rz 69.
170 Münscher in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch5 Rz 81/129; wohl aA Knops in BeckOGK BGB § 491a
BGB Rz 73.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 68
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal