Page - 58 - in Austrian Law Journal, Volume 1/2018
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ISSN: 2409-6911
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www.austrian-law-journal.at
DOI: 10.25364/01.5:2018.1.3
Fundstelle: Hiebaum, Technokratie und Posttechnokratie, ALJ 2018, 58–65 (http://alj.uni-graz.at/
index.php/alj/article/view/124).
Technokratie und Posttechnokratie
Christian Hiebaum,* Universität Graz
Kurztext: Technokratie ist heute nahezu allgemein ĂĽbel beleumundet. Ein Gutteil politischer
Fundamentalkritik (insbesondere an der Europäischen Union) ist Kritik an technokratischem
Entscheiden. Gleichwohl macht man sich mit dem Vorschlag, die Regierung hauptsächlich oder
gar ausschließlich mit „Expertinnen und Experten“ zu besetzen, im Wahlvolk eher beliebt als un-
beliebt. Und prominente Ă–konomen beklagen den Mangel an Sachverstand, wie er sich in Aus-
teritätspolitiken manifestiere, die nicht zuletzt von genau denjenigen Instanzen verordnet wer-
den, die unter Technokratie-Verdacht stehen. Manche bezweifeln auch explizit, dass wir an zu
viel Technokratie laborieren wĂĽrden. Um den Widerspruch zwischen Technokratie-Kritik und
Technokratie-Leugnung (bzw dem Wunsch nach mehr Expertise in der Politik) aufzulösen, schla-
ge ich den Begriff der Posttechnokratie vor. Einiges an heutiger Technokratie-Kritik, so meine
These, bezieht sich eigentlich auf die Posttechnokratie. Im Folgenden wird zwischen Technokra-
tie und Posttechnokratie unterschieden, indem ihr jeweiliges Verhältnis zu Bürokratie, Hierar-
chie, Partizipation und ideologischer Vielfalt näher betrachtet wird.
Schlagworte: Technokratie; Posttechnokratie; BĂĽrokratie; Hierarchie; Heterarchie; Governance;
Partizipation; Demokratie; ideologische Vielfalt; Neoliberalismus.
I.
Technokratie ist heute nahezu allgemein ĂĽbel beleumundet. Das war nicht immer so. Mit dem
technologischen Fortschritt und der Etablierung und Ausdifferenzierung der modernen Sozial-
wissenschaften war fĂĽr einige Zeit durchaus die Hoffnung verbunden, Herrschaft weiter versach-
lichen zu können bzw sie eines Tages überhaupt den Gesellschaftsingenieuren überlassen zu
können. So formierte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA, inspiriert durch
die Schriften Veblens, insbesondere durch das Werk The Engineers and the Price System,1 eine de-
klariert technokratische Bewegung, die keineswegs bloĂź als eine Gruppe Verschrobener wahrge-
nommen wurde.2 Doch dieser Optimismus hielt nur wenige Jahrzehnte. Mittlerweile gilt die Tech-
nokratie eher als Degenerationsform von Epistokratie. Zumindest scheint letzterer Begriff etwas
weniger negativ besetzt – wohl, weil ihn kaum jemand kennt oder weil „Epistokratie“ weniger an
* Ao. Univ.-Prof. Dr. Christian Hiebaum ist Dozent am Institut fĂĽr Rechtswissenschaftliche Grundlagen und Leiter
des Fachbereichs Rechtssoziologie, Rechtspolitik, Verhandlungs- und Mediationsforschung der Rechtswissen-
schaftlichen Fakultät der Universität Graz.
1 Veblen, The Engineers and the Price System (1921).
2 Siehe Willeke, Die Technokratiebewegung in Nordamerika und Deutschland zwischen den Weltkriegen: Eine
vergleichende Analyse (1995); Akin, Technocracy and the American Dream: The Technocrat Movement, 1900–
1941 (1977); Elsner, Jr., The Technocrats: Prophets of Automation (1967).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 68
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal