Page - 27 - in Austrian Law Journal, Volume 1/2019
Image of the Page - 27 -
Text of the Page - 27 -
ALJ 2019 Entlastungswirkung der hypothetischen KausalitÀt 27
Fallgruppe der AnlageschÀden, sei es zudem nicht stimmig von einem Grundsatz der Irrelevanz
der hypothetischen Ursache auszugehen. Die Frage nach der Beachtlichkeit oder Unbeachtlichkeit
einer Reserveursache sei demzufolge eine Entscheidung im Einzelfall, die anhand von Wertungen
vorzunehmen wÀre.54 Wenig verwunderlich bleibt es in der Folge umstritten, anhand welcher Kri-
terien im Detail zu differenzieren sei, ob gehaftet werde oder nicht und worin besagte Wertungen
bestĂŒnden.55 Ausschlaggebend soll der Zweck der ĂŒbertretenen Norm, aber auch die Wahrschein-
lichkeit, mit der sich die hypothetische Ursache verwirklicht hÀtte, der Unwertgehalt der Reserveur-
sache, oder auch die zeitliche Abfolge sein.56
Gewiss unbeachtlich ist nach beinahe einhelliger Lehre und Rechtsprechung in Deutschland die
Reserveursache, wenn sie zur Verantwortlichkeit eines Dritten gefĂŒhrt hĂ€tte.57 So wird ein Vandale,
der ein Bild in einem Museum zerstört, nicht deswegen von seiner Haftung befreit, weil das Mu-
seum und damit auch das Bild wenige Tage spÀter einem Brandstifter zum Opfer gefallen wÀren.58
Der hypothetische SchĂ€diger (Brandstifter) kann in dieser Konstellation gar nicht fĂŒr den Schaden
am Bild haften, weil er ihn nicht mehr verursachen konnte. Das Bild wurde bereits zuvor zerstört.59
BerĂŒcksichtigte man daher die Reserveursache, ginge der GeschĂ€digte (EigentĂŒmer des Bildes) leer
aus. Entlastet wĂŒrde hingegen der haftpflichtige reale SchĂ€diger (Vandale).60 Es wird argumentiert,
dass der Schaden hier eigentlich in der Vereitelung eines Schadensersatzanspruches gegen den
hypothetischen SchĂ€diger liege. Der wirkliche SchĂ€diger haftet demnach fĂŒr den Verlust des hypo-
thetischen Anspruches gegen den Dritten.61 Ist der hypothetische SchÀdiger insolvent und könnte
den Schaden ohnehin nicht ersetzen, so soll sich der erste SchÀdiger nicht auf die Undurchsetz-
barkeit des hypothetischen Anspruchs berufen können.62
Zum einen wird damit ein Unterschied zwischen der deutschen hL und den Lehren von F. Bydlinski
und Koziol augenscheinlich.63 Zu einer solidarischen Haftung des hypothetischen mit dem realen
SchÀdiger soll es nach der hL in Deutschland dem Grundsatz nach nicht kommen.64 Die Reserveur-
sache wird, wenn ein mit dem Erstschaden deckungsgleicher Zweitschaden eintreten wĂŒrde, aus-
geblendet und es haftet der reale SchĂ€diger alleine. Das fĂŒhrt in der Folge zu einer weitgehenden
54 Statt vieler Wendehorst, Ausgleich und Anspruch 130; Schiemann in Staudingers Kommentar zum BGB VIII (2005)
§ 249 Rn 94; zur deutschen hL mit zahlreichen Nachweisen Oetker in MĂŒKo/BGB7 § 249 BGB Rn 209 ff; Kodek in
KleteÄka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1293 Rz 23 f; Trenker, ĂJZ 2013, 2 (FN 31).
55 So Oetker in MĂŒKo/BGB7 § 249 BGB Rn 209.
56 Vgl Wendehorst, Ausgleich und Anspruch 130.
57 Statt vieler von Caemmerer, Ăberholende KausalitĂ€t 21 f; Röckrath, KausalitĂ€t, Wahrscheinlichkeit und Haftung
(2004) 26; Larenz, Schuldrecht I14 526 f; Oetker in MĂŒKo/BGB7 § 249 BGB Rn 214 f; siehe auch BGH in NJW 1958,
705: âEine hypothetische Schadensursache kann nicht zugunsten des SchĂ€digers berĂŒcksichtigt werden, wenn sie
in der schÀdigenden Handlung eines Dritten besteht und der GeschÀdigte bei Wirksamwerden dieser Ursache von
dem Dritten Schadensersatz beanspruchen könnteâ; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1302 Rz 14 und 15 kann eine
dahingehende Tendenz des OGH in SZ 39/172 aufzeigen; differenziert etwa Deutsch, Haftungsrecht/I 170 f.
58 Vgl NiederlÀnder AcP 153 (1954), 41 (53 ff).
59 Siehe nur Larenz, Schuldrecht I14 527 FN 12.
60 Dazu statt vieler Wendehorst, Ausgleich und Anspruch 106 FN 208; zu den GrĂŒnden fĂŒr die unvollstĂ€ndige Entlas-
tungswirkung: Gebauer, Hypothetische KausalitÀt 386 ff.
61 Vgl kritisch NiederlĂ€nder, AcP 153 (1954), 41 (54); Oetker in MĂŒKo/BGB7 § 249 BGB Rn 214 ff.
62 Oetker in MĂŒKo/BGB7 § 249 BGB, Rn 214.
63 F. Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung 94 ff wĂŒrde uU auch nach deutschem Recht beide SchĂ€diger
gemÀà § 830 Abs 1 BGB solidarisch haften lassen, wenn die weiteren Voraussetzungen vorlÀgen.
64 Ăbersicht zum Meinungsstand bei Gebauer, Hypothetische KausalitĂ€t 390 ff: Es handle sich um die âpraktisch ein-
hellige Auffassungâ; siehe auch Röckrath, KausalitĂ€t, Wahrscheinlichkeit und Haftung 26 f. Auf den Umstand expli-
zit hinweisend, dass darin ein Unterschied zu der von F. Bydlinski vertretenen Auffassung zu begreifen ist: Larenz,
Schuldrecht I14 527 FN 12; Wendehorst, Ausgleich und Anspruch 127 FN 293.
back to the
book Austrian Law Journal, Volume 1/2019"
Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal