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ALJ 2019 Moritz Zoppel 28
Einschränkung der Entlastungswirkung von hypothetischen Ursachen nach deutschem Recht. Sie
werden nur in Ausnahmen berücksichtigt.65 Zum anderen wird damit auch klarer, dass der Grund-
satz der Irrelevanz der hypothetischen Ursache des OGH und die deutsche hL im Ergebnis in vielen
Konstellationen gar nicht so weit auseinander liegen dürften.66 Einigkeit besteht nach allen Lö-
sungsansätzen zum Problem der überholenden Kausalität in Deutschland und Österreich darin,
dass es nicht zu einer völligen Entlastung des realen Schädigers durch den hypothetischen Täter
kommen kann. Umstritten bleibt, ob die Haftung stets auf den realen Schädiger reduziert werden
soll.67
B. Kausalität der Unterlassung
Eine Unterlassung ist für den Schaden dann kausal, wenn die Vornahme einer aktiven Handlung
das Eintreten des Erfolges verhindert hätte.68 Für die Prüfung der Kausalität wird daher der hypo-
thetische Kausalverlauf hinzugedacht.69 Anders als bei der Kausalitätsprüfung einer aktiven Hand-
lung wird ein Ereignis nicht gedanklich eliminiert, sondern substituiert.70 Die hinzugedachte Hand-
lung ist allerdings real nie eingetreten, sondern eine reine Erfindung und Hilfsüberlegung.71
1. Die Wahrscheinlichkeit und der Inhalt der Hypothese
Schwierigkeiten ergeben sich zunächst auf Beweisebene. Die Konsequenzen des gebotenen, aber
nicht gesetzten Verhaltens des Schädigers, lassen sich nur selten mit Sicherheit nachweisen.72 Die
Rechtsprechung lässt es daher genügen, dass der Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
auch bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre.73 Abgestellt wird auf den gewöhnlichen Lauf
der Dinge. Die Voraussetzungen für den Beweis der Kausalität liegen demgemäß unter dem Regel-
beweismaß der ZPO, wonach für eine Feststellung eine hohe Wahrscheinlichkeit nachgewiesen
werden muss.74
Werden – wie in der zum Ausgangspunkt genommenen Entscheidung des OGH75 – Folgereaktionen
auf das hinzugedachte pflichtgemäße Verhalten des Schädigers berücksichtigt, so stellt sich an-
schließend die Frage, ob man die Folgeannahmen anhand objektivierter oder der konkreten Ge-
gebenheit betrachtet. Hätte man sich in concreto folglich fragen müssen, wie die Vertrauensärztin
der Schädigerin oder wie eine maßgerechte Ärztin die Fahrtauglichkeit eingeschätzt hätte? Über-
zeugend wird vertreten, dass das Verhalten einer vernünftigen Maßfigur wohl nur Indizwirkung
65 Vgl Koziol, HPR I3Rz 3/65 f, der sich kritisch mit den deutschen Lehrmeinungen auseinandersetzt.
66 Dahingehend bereits Reischauer in Rummel, ABGB3 §1302 Rz 14 und 15, der darauf hinweist, dass die Haftung
eines hypothetischen Dritten, der für das Ereignis einzustehen gehabt hätte, den realen Schädiger wohl auch in
Österreich, nach einer Tendenz des OGH, nicht entlasten würde. Er verweist auf SZ 39/172 = EvBl 1967/155.
67 Darauf hinweisend Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1302 Rz 52.
68 Siehe nur Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1295 Rz 5.
69 Koziol, HPR I3Rz 3/14.
70 Zimmermann, Digest of European Tort Law: Essential Cases on Natural Causation (2007) Rz 3.
71 Koziol, RdW 2007, 12.
72 P. Bydlinski, ÖBA 2012, 797 (auch FN 59); ders, ÖBA 2008, 159 (167); vor allem bei der Anlageberaterhaftung ist es
strittig, wer den schwer zu erbringenden Nachweis der er hypothetischen Alternativanlage zu erbringen hat; vgl
auch Rebhahn, Staatshaftung 653 ff; OGH 29.11.2017, 8 Ob 2/17
73 OGH 28.2.2012, 4 Ob 145/11v = EvBl 2012/95 (Rassi); 29.11.2017, 1 Ob 112/17b = EvBl 2018/79 (S. Gruber).
74 Mit weiteren Nachweisen siehe: Rechberger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, vor § 266 ZPO (2017) Rz
11, 13 und 15.
75 OGH 26.6.2017, 2 Ob 117/16v = EvBl 2017/155 (Zoppel).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal