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ALJ 2019 Moritz Zoppel 32
steuern, zur Orientierung dienen.91 Einheitslösungen nach einem Alles-oder-Nichts-Prinzip verbie-
ten sich demnach.
Als Faustregel ist es zweckmäßig, die Hypothese auf das Verhalten des Schädigers und des Geschä-
digten zu begrenzen. Es müsste gefragt werden, ob der Schaden bei Hinzudenken des pflichtge-
mäßen Verhaltens trotzdem verursacht würde. Das plangemäße Verhalten des Schädigers bildet
den hypothetischen Vergleichsmaßstab. Das haftungsbegründende Verhalten von hinzugedach-
ten Dritten sollte regelmäßig keine Rolle spielen. Etwas anderes kann gelten, wenn es sich aus dem
Zweck der übertretenen Norm ergibt.
Die vorgeschlagene Eingrenzung kommt nicht von ungefähr: Eine entsprechende Beschränkung
wird bei der Kausalitätsprüfung von Handlungen nach der Conditio sine qua non Formel befürwor-
tet. Karollus weist einprägsam darauf hin, dass ein Schlosser, der unberechtigt Nachschlüssel für
Einbrecher anfertigt, von seiner Haftung nicht dadurch entlastet wird, weil höchstwahrscheinlich
ansonsten ein erfundener anderer Schlosser dieselbe Tat begangen hätte.92 Welser führt aus, dass
im Sinne der Lehre von der conditio sine qua non stets zu fragen sei, wie sich die Situation weiter-
entwickelt hätte, wenn man sich die Handlungen des Täters wegdenkt. Einzig die pflichtwidrige
Handlung des Täters sei zu eliminieren. Nur danach richte sich schließlich der weitere Kausalver-
lauf. Jedenfalls dürfe das Verhalten des Täters nicht durch eine beliebige andere Handlung ersetzt
werden.93 Koziol betont, dass es bei der Kausalitätsprüfung einer Handlung nicht anginge, ein an-
deres Verhalten zu fingieren und die Rechtsfolgen nach dem fingierten Verhalten eintreten zu las-
sen. Nur die wirklich gesetzte Handlung dürfe weggedacht werden.94 Kahrs schränkt weiter ein und
möchte jedenfalls das hypothetische unerlaubte Verhalten Dritter zwingend unbeachtet lassen –
auch wenn es nahe läge, dass es sich ereignen könnte.95
Da die Trennlinie zwischen einer Schädigung durch aktives Tun oder durch Unterlassen oftmals
nur mit Schwierigkeiten gezogen werden kann96, wäre es problematisch, die beiden Verhaltens-
91 So zu pragmatisch verstandenen Kausalitätsvoraussetzungen Wagner in MüKo/BGB7 § 823 BGB, Rn 69; er verweist
auf Hart/Honoré, Causation in Law2 IXXX.
92 Karollus, Schutzgesetzverletzung 393 f FN 17.
93 Welser, Vertretung ohne Vollmacht (1970) 137; Spendel, Die Kausalitätsformel der Bedingungstheorie für Hand-
lungsdelikte (1948) 34 f.
94 Koziol, HPR I3Rz 3/5 FN 14; Koziol, RdW 2007, 12.
95 Kahrs, Kausalität und überholende Kausalität im Zivilrecht (1969) 40; in diese Richtung geht beim rechtmäßigen
Alternativverhalten auch OGH 28.2.2018, 6 Ob 234/17f. Hingewiesen wird auch darauf, dass die Konstellation eine
andere als bei der überholenden Kausalität sei, weil es in concreto auch „nur“ um das rein hypothetische Verhalten
eines Dritten ginge.
96 Koziol in FS Deutsch 179 (182) zeigt, dass eine einfache Abgrenzung zwischen aktivem Tun und Unterlassen be-
denklich sei; Riss, JBl 2004, 423; Schulin, Der natürliche – vorrechtliche – Kausalitätsbegriff im zivilen Schadenser-
satzrecht 157 ist der Ansicht, dass die Unterscheidung zwischen aktivem Tun und Unterlassen keinen Einfluss auf
die Prüfung der Kausalität haben dürfe. Er zeigt auch, dass der BGH im „Radfahrerfall“ (BGH in BGHSt 11, 1) sehr
darauf bedacht ist, sich gar nicht festzulegen, ob eine Handlung oder eine Unterlassung geprüft werde; Karollus,
Schutzgesetzverletzung insbesondere 392 f und 402 FN 56 und Rebhahn, Staatshaftung 647 f zeigen Unterschiede
bei der Zurechnung einer Unterlassung im Vergleich zu einem Tun auf. Diese ergeben sich mE aus der Kausalitäts-
prüfung selbst. Die Kausalität einer Unterlassung kann immer nur im Hinblick auf ein gebotenes Verhalten geprüft
werden. Bestünden – so Karollus – mehrere gebotene Handlungen, die man als Vergleichskriterium heranziehen
könne, so müsste man alle auch miteinbeziehen. Jedoch ließen sich die daraus resultierenden Divergenzen, nach
beiden Autoren, durch das Einbeziehen anderer Elemente (zB Beweismaß) weitgehend abfedern. Rebhahn betont,
dass es wesentlich von der Haftungsnorm abhänge, welche Verhaltensweisen noch einzubeziehen seien. Umso
eher eine Pflicht bestünde, einen Erfolg zu verhindern, desto mehr schade dem Beklagten auch, dass sein Unter-
lassen das Risiko des Schadenseintritts im Vergleich zu einem Tun erhöht habe.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal