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ALJ 2019 Finanzielle Sanktionen bei NichterfĂĽllung von EuGH-Urteilen 57
wurde allerdings davon abgesehen und die Anpassung erfolgte erst 2010.11 Die nächste Aktualisie-
rung der makroökonomischen Daten zur Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die
die Kommission dem Gerichtshof bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt, erfolgte erst wie-
der im August 2015 und damit bereits nach der Umwandlung des Art 228 EGV in den Art 260 AEUV
im Gefolge des Inkrafttretens des Vertrages von Lissabon. In dieser Mitteilung12 wurde einmal
mehr der Faktor „n“ – dieser berücksichtigt die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaates
(BIP) und seine Stimmenzahl im Rat – angepasst und zB für Österreich mit 4,22 festgesetzt. Die
bisher letzte Mitteilung der Kommission, die noch auf der alten Berechnung des Faktors „n“ be-
ruht,13 setzt diesen fĂĽr Ă–sterreich nunmehr mit 4,08 fest.
IV. Aktuelle Methode der Kommission zur Berechnung finanzieller Sankti-
onen
Was die bisherige Berechnungsmethode für Pauschalbeträge und Tagessätze für das Zwangsgeld
betrifft, kam es vor kurzem zu einem Paradigmenwechsel. Wie der Gerichtshof in seinem vorer-
wähnten Urteil in der Rs C-93/1714 feststellte, ist hinsichtlich der Berechnung des Faktors „n“ – was
das Kriterium der Stimmengewichtung des betroffenen Mitgliedstaates im Rat betrifft – klarzustel-
len, dass nach Art 3 Abs 1 des Protokolls (Nr. 36) ĂĽber die Ăśbergangsbestimmungen15 am 1. No-
vember 2014 ein neues Verfahren der qualifizierten Mehrheit – nämlich das der sog „doppelten
Mehrheit“ – in Kraft getreten ist.
Nach Art 3 Abs 2 des Protokolls (Nr. 36) konnten die Mitgliedstaaten bis zum 31. März 2017 noch
eine Beschlussfassung auf der Grundlage der alten Regelung der qualifizierten Mehrheit beantra-
gen. Ab dem 1. April 2017 wurde aber das System der „gewichteten“ Stimmen durch das der „dop-
pelten Mehrheit“ ersetzt, wonach die qualifizierte Mehrheit erst dann erreicht ist, wenn sie min-
destens 55 Prozent bzw – wenn der Vorschlag nicht von der Kommission oder vom Hohen Vertreter
der Union für die GASP stammt – 72 Prozent der Mitglieder des Rates umfasst, sofern die von
diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU
ausmachen. Diese komplexen Vorgaben können aber nicht in eine einfache Gewichtung umge-
rechnet und in gleicher Weise wie das bisherige System verwendet werden.
Dementsprechend apodiktisch stellt der Gerichtshof in diesem Zusammenhang in seinem Urteil
auch fest: „Angesichts der Modalitäten des neuen Systems der doppelten Mehrheit und der Unter-
schiede, die es zum alten System der gewichteten Stimmen aufweist, ist das neue System der dop-
pelten Mehrheit nicht direkt auf den Mechanismus zur Berechnung der Sanktion ĂĽbertragbar und
kann somit das alte System der gewichteten Stimmen fĂĽr diese Zwecke nicht wirklich ersetzen. Wie
nämlich der Generalanwalt in Nr 140 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liefert das neue System
der doppelten Mehrheit keine zufriedenstellenden Kriterien fĂĽr die angemessene Feststellung der
11 SEK(2010) 923/3.
12 C(2015) 5511 final vom 5. August 2015.
13 C(2018) 5851 final vom 18. September 2018.
14 EuGH 14. 11. 2018, C-93/17, Europäische Kommission/Hellenische Republik (ECLI:EU:C:2018:903) Rn 136 ff.
15 ABl C 2016/202, 321 ff.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal