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ALJ 2019 Christoph Zehetgruber 64
Geschworenen schlechthin“ fest.17 Unhinterfragt bleiben in diesem Zusammenhang bei Burgstal-
ler18 freilich die Beweggründe des historischen Gesetzgebers des Jahres 1933 hinsichtlich der Än-
derung zu Lasten der Normunterworfenen; der Hinweis, dass vor der genannten Adaptierung der
Aussetzung „eine Reihe ungerechtfertigter Freisprüche durch Geschworene“ erfolgt sei, vermag –
gerade eingedenk der damaligen politischen Situation – insofern wenig Begründungskraft zu ent-
falten bzw deutet auf eine Korrektur der Rechtslage zu einem autoritäreren und restriktiveren Ver-
ständnis des Strafverfahrens hin.19
Aus dogmatischem Blickwinkel handelt es sich bei der (inhaltlich-umfänglich seit 1951 unverändert
gebliebenen) Vorschrift der Aussetzung um eine im Gesamtsystem ĂĽberaus bemerkenswerte und
an sich schwierig zu integrierende Norm. Wie bereits Sadoghi herausgearbeitet hat, stellt § 334
StPO nach herrschender Lesart wohl weder ein Rechtsmittel noch einen Rechtsbehelf dar,20 viel-
mehr bildet die Vorschrift ein Rechtsinstitut sui generis21, welches das in Art 91 Abs 2 B-VG veran-
kerte und von BefĂĽrwortern der Geschworenengerichtsbarkeit verteidigte Prinzip, allein die Ge-
schworenen dĂĽrften verfassungsrechtlich festgelegt bei schwersten Straftaten und bestimmten
politischen Delikten entscheiden,22 allen normtheoretischen Beteuerungen23 zum Trotz im Ergeb-
nis ad absurdum fĂĽhrt.24 Zwar wird den Geschworenen die Beantwortung der Schuldfrage sowie
die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts ĂĽberlassen,25 diese kann jedoch durch eine einstim-
mige Entscheidung der Berufsrichter automatisch und unbegrĂĽndet ausgesetzt, dh vernichtet wer-
den. In der Konzeption des § 334 Abs 1 StPO spiegelt sich insofern ein merkwürdiges Ressentiment
17 So auch Sadoghi, JSt 2008, 79 mN in FN 11; dieselbe, Ă–JZ 2018, 259.
18 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 10.
19 Vgl näher hinsichtlich „verfehlter Wahrsprüche“ vor Änderung der Rechtslage im Jahre 1933 Moos in FS Rehberg
225.
20 Siehe näher Sadoghi, Geschworengerichtsbarkeit 237, 238; dieselbe, JSt 2008, 80.
21 Lewisch, Zur Diskussion über die Geschworenengerichtsbarkeit: Abschaffen – Umformen – Beibehalten? AnwBl
2010, 216 (218) bezeichnet Monitur und Aussetzung als „verfahrensökonomische Quasi-Rechtsmittel“, ausgeführt
durch die Berufsrichter in erster Instanz; derselbe, JBl 2012, 500.
22 Hierzu sei angemerkt, dass der Wortlaut des Art 91 Abs 2 B-VG ([…] „bei den mit schweren Strafen bedrohten
Verbrechen, die das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen Geschworene
über die Schuld des Angeklagten entscheiden“) eine solche Interpretation zwar zulässt (siehe zur hM etwa Lewisch,
Geschworenengerichte 5 f mN; Moos in FS Rehberg 206 f), eine solche aber nicht zwingend ist und die differen-
zierte Behandlung der Geschworenen und Schöffen (welche nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift an
der Rechtsprechung „teilnehmen“) in Art 91 Abs 2 und 3 B-VG zwar ein Indiz für eine sachlich unterschiedlich
ausgestaltete Kompetenz sein kann, der Wortlaut jedoch nicht ausdrĂĽcklich eine derartige normiert; aA Lewisch,
Geschworenengerichte 5 f: „Allein-Entscheidungskompetenz“ der Geschworenen nach Art 91 Abs 2 B-VG; Huber,
Das Geschworenengericht in der Sinnkrise, JAP 2010/2011, 132; Reindl-Krauskopf, Argumente gegen die Geschwo-
renengerichtsbarkeit, AnwBl 2010, 224; Ruhri, Ausgewählte Fragen zur Reform des Geschworenenverfahrens,
AnwBl 2011, 98 (99 f); idS inzident wohl auch Moos in FS Rehberg 207.
23 So etwa Lewisch, Geschworenengerichte 6, welcher vermeint, dass im Falle der Aussetzung des Wahrspruchs
durch die Berufsrichter jene durch ihre eigene Entscheidung keine Substitution der Entscheidung der Geschwore-
nen vornehmen, sondern nur „den Weg zu […] einem wiederholten Wahrspruch“ eröffnen; hierzu ferner VfGH 27.
6. 2018, G 28/2018 Rn 43; siehe auch Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1099 (1100). Ohne die
Feststellung der Aussetzung (und damit sehr wohl die diesbezĂĽgliche Ersetzung bzw niemals in Geltung-Treten
des Urteils der Geschworenen iSe Vernichtung desselben) kann ein zweiter Wahrspruch jedoch nicht ergehen,
sodass die Entscheidung der Berufsrichter an die Stelle derjenigen der Laienrichter tritt, diese insofern sehr wohl
auch hinsichtlich der Schuldfrage (temporär) substituiert.
24 Vgl insofern ferner Aistleitner, Laiengerichtsbarkeit – wozu eigentlich? in Soyer (Hrsg), Strafverteidigung – Neue
Herausforderungen (2006) 78 (81); aA Sadoghi, ÖJZ 2018, 259 uVa FN 51 f auf Grund der bloßen „Kassationskom-
petenz des Schwurgerichtshofs“.
25 Siehe allgemein nur Moos in FS Rehberg 207; Moringer in Soyer, Strafverteidigung 66; Lewisch, AnwBl 2010, 222;
Sadoghi, Geschworengerichtsbarkeit 177, 179.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal