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ALJ 2019 Christoph Zehetgruber 66
allein formal zu verstehen ist)32 der Geschworenen beruht,33 welcher sich aus der Gesamtheit der
von den Berufsrichtern in schriftlicher Form an die Geschworenen gerichteten Fragen und deren
Beantwortung ergibt34 und nicht begrĂĽndet ist,35 ist es eklatant wichtig, zu differenzieren, welche
der gestellten Fragen die Hauptsache betreffen, und somit als irrtumsgeeignet iSd § 334 StPO an-
gesehen werden. Die Fragestellung per se dient der Präzisierung des Tatbestandes, welcher sich
aus Anklage und Verfahren ergibt.36 Dabei mĂĽssen die Fragen zur Schuld so detailliert sein, dass
ihre Beantwortung für die Geschworenen nach dem Schema Ja/Nein möglich ist.37 Nach hM sind
jedenfalls die sog „Hauptfragen“, dh jene, die selbstständig bestehen und in keinem logischen Ver-
hältnis zu Eventual- und Zusatzfragen stehen,38 etwa ob X die ihm angelastete Tat in der von der
Anklage vorgebrachten Art und Weise begangen hat,39 als „irrtumsgeeignet“ anzusehen. Die Be-
antwortung der Fragen setzt auf Seiten der Geschworenen (nach erfolgter Rechtsbelehrung) Sub-
sumtionstätigkeit voraus,40 sodass sich „Irrtümer“ iSd § 334 StPO sowohl auf tatsächlicher als auch
rechtlicher Ebene ereignen können.41 Nach hA bilden somit Freisprüche, obwohl ein Schuldurteil
zu ergehen hätte, in umgekehrter Weise Schuldsprüche, obwohl ein Freispruch zu fällen wäre, so-
wie ein Schuldspruch, der ein milderes oder strengeres Delikt als das korrekterweise heranzuzie-
hende annimmt, jedenfalls „Irrtümer in der Hauptsache“.42 Ferner wird auch die irrtümliche An-
nahme eines strafsatzändernden Umstandes hinsichtlich einer an sich richtig qualifizierten Tat als
Irrtum in der Hauptsache klassifiziert.43
Die Aussetzung bezieht sich hierbei immer auf das Urteil, nicht aber den Wahrspruch der Geschwo-
renen,44 und betrifft etwa die von den Geschworenen bejahte oder verneinte Hauptfrage hinsicht-
lich Schuld oder Unschuld bzw eine damit in Verbindung stehende rechtliche Beurteilung durch
die Laienrichter (etwa Körperverletzung mit tödlichem Ausgang statt Mord). Da der „Irrtum“ der
Geschworenen, (deren „Fehlleistung“ im genannten Sinn) keine besondere Gravität aufweisen
müsse,45 könne bzw müsste der Schwurgerichtshof immer dann, wenn er einstimmig der Ansicht
32 Vgl nur Mertens, Die Krise der Geschworenengerichtsbarkeit, ecolex 2017, 312 (313); Moos, JBl 2010, 76; Steininger,
Die Anfechtung mangelhafter Tatsachenfeststellungen im Geschworenenverfahren, Ă–JZ 1992, 686 (688).
33 VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016-19 Rn. 7; Hinterhofer/Oshidari, System Rn 10.9; Lewisch, Geschworenengerichtsbar-
keit und faires Verfahren, JBl 2012, 496; Mühlbacher, Geschworenengerichte – unbegründete Sorge? ALJ 2015, 268
(269); Schroll/Schillhammer, Rechtsmittel3 Rn 26.
34 VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016 Rn 7; Bertel/Venier, Strafprozessrecht11 (2018) Rn 407; Burgstaller in Burgstal-
ler/Schima/Császár, Aussetzung 14; Lewisch, AnwBl 2010, 217; Schroll/Schillhammer, Rechtsmittel3 Rn 22.
35 Statt vieler VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016 Rn 7; Hinterhofer/Oshidari, System Rn 10.9; Seiler, Strafprozessrecht17
(2018) Rn 950; Steininger, Die Anfechtung mangelhafter Tatsachenfeststellungen im Geschworenenverfahren, Ă–JZ
1992, 686 (688).
36 VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016 Rn 7; Pilnacek, Zur Bedeutung der Taxquet-Entscheidung des EGMR für das öster-
reichische Geschworenenverfahren, JBl 2012, 228 (230).
37 VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016 Rn 7, 23; Bertel/Venier, Strafprozessrecht11 Rn 397; Huber, JAP 2010/2011, 133; Moos,
JBl 2010, 75; Nimmervoll, Das Strafverfahren – Systematische Darstellung für Ausbildung und Praxis (2015) 586.
38 Pilnacek, JBl 2012, 230.
39 IdS etwa VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016 Rn 21; Bertel/Venier, Strafprozessrecht11 Rn 400; Hinterhofer/Oshidari,
System Rn 10.14; Lewisch, Geschworenengerichte 10; Seiler, Strafprozessrecht17 Rn 910.
40 Huber, JAP 2010/2011, 133; Moringer in Soyer, Strafverteidigung 67.
41 Siehe FN 30.
42 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 19; Hinterhofer/Oshidari, System Rn 10.35; Nimmervoll,
Strafverfahren 590; Philipp in WK-StPO § 334 Rn 4; Venier in Bertel/Venier, Strafprozessordnung Kommentar (2012)
§ 334 Rn 1.
43 Nimmervoll, Strafverfahren 590; Philipp in WK-StPO § 334 Rn 4.
44 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 35 mit Erläuterungen in FN 95; Fabrizy, StPO13 § 334 Rn 1.
45 So etwa OGH 17. 2. 2010, 15 Os 162/09a; ferner Philipp in WK-StPO § 334 Rn 3, welcher in diesem Zusammenhang
von einer „besonderen Evidenz des Irrtums“, welche für eine Aussetzung jedoch nicht erforderlich wäre, spricht,
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal