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ALJ 2019 Die Aussetzung (§ 334 StPO) 67
sei, die Hauptfrage anders als die Geschworenen entschieden zu haben, die Aussetzung beschlie-
Ăen. Das Vorliegen eines âIrrtumsâ iSd § 334 StPO erschöpft sich somit in einer gedanklichen Ăber-
prĂŒfung, ob die Berufsrichter in Bezug auf die Hauptsache ebenso wie die Geschworenen geurteilt
hĂ€tten. Diese bislang weitestgehend unwidersprochen gebliebene und ĂŒber Jahrzehnte tradierte
Ansicht46 verdient aus unterschiedlichen GrĂŒnden keine Zustimmung.
Bereits der Wortlaut des § 334 Abs 1 StPO indiziert mittels der Verwendung des Worts âirrtâ iSv
âIrrtumâ eine andere Deutung.47 Das Gesetz spricht ausdrĂŒcklich nicht von âFehlernâ oder einer
âanderen Beurteilungâ durch die Berufsrichter, sondern von einem Irrtum der Geschworenen in
der Hauptsache. Ein Irrtum ist der Wortbedeutung nach etwas Passives, ein Ereignis, welches einer
Person (oder wie hier, einer Personengruppe) geschieht, nicht jedoch etwas, was der Irrende aktiv
und bewusst bei sich selbst herbeifĂŒhrt; der Irrende verkennt (in nicht nachvollziehbarer Weise
oder durch sachfremde Motive geleitet) vielmehr die Sach- (iSv Beweis-) oder Rechtslage. DarĂŒber
hinaus indiziert der Terminus âIrrtumâ (vgl in diesem Zusammenhang etwa das VerstĂ€ndnis der
TĂ€uschung ĂŒber Tatsachen iSd Erregung eines Irrtums bei § 146 StGB) eine objektive, nachweisbar
falsche Vorstellung von der Wirklichkeit iSe unvertretbaren Entscheidung.48 Er suggeriert eine be-
sonders bedeutende Fehlleistung49, nicht jedoch eine denkmögliche, vertretbare Bewertung und
Entscheidung iSd freien BeweiswĂŒrdigung.50 Wenn die Geschworenen nun schlicht eine andere,
auf Grund der Beweis- und Rechtslage vertretbare, der menschlichen Logik und den Denkgesetzen
und vermeint, die Aussetzung sei nicht âauf FĂ€lle âkrasser Unrichtigkeit des Wahrspruchs beschrĂ€nktâ, da eine sol-
che Deutung âim Gesetz keine StĂŒtzeâ fĂ€nde, und ferner (uVa OGH 17.2. 2010, 15 Os 162/09a) das Vorliegen er-
heblicher Bedenken iSd Nichtigkeitsgrundes gem § 345 Abs 1 Z 10a StPO fĂŒr die Anwendung des § 334 StPO eben-
sowenig notwendig sei; ganz idS auch Burgstaller in Burgstaller/Schima/CsĂĄszĂĄr, Aussetzung 16 f (welcher freilich
allzu vereinfachend â wie auch Philipp â in keiner Weise auf die Systematik der Norm und deren Ausnahmecha-
rakter eingeht, sondern vermeint, der Gesetzestext und die Gesetzesmaterialien wĂŒrden keine Anhaltspunkte fĂŒr
eine einschrÀnkende Sichtweise hins § 334 StPO bieten); OGH 17. 2. 2010, 15 Os 162/09a; Groschedl/Oswald/Pa-
vlidis/Pinetz/Schaffer/Ziniel, ecolex 2018, 1044; Hinterhofer/Oshidari, System Rn 10.35; nach Nimmervoll, Strafver-
fahren 590 unter Zitierung von OGH 17. 2. 2010, 15 Os 162/09a: [âŠ] âkommt eine Aussetzung auch in âreinen
Indizienprozessenâ in Betracht, in denen sich die fĂŒr und gegen den Angeklagten sprechenden Beweise ungefĂ€hr
die Waage halten.â; Sadoghi, ĂJZ 2018, 259 mN. Diese Ansichten mögen fĂŒr die bislang herrschende Auffassung
beispielhaft sein, sie verkennen jedoch die PrÀrogative des Verfassungsgesetzgebers in Art 91 Abs 2 B-VG hinsicht-
lich der Beurteilung der Schuldfrage durch die Geschworenen, den Sinn und Zweck des § 334 StPO, dessen syste-
matische Stellung im GesamtgefĂŒge der StPO im Zusammenspiel mit dem Umstand als Norm sui generis sowie
dessen absoluten Ausnahmecharakter und sind daher abzulehnen.
46 Vgl insofern Burgstaller in Burgstaller/Schima/CsĂĄszĂĄr, Aussetzung 16 f, der sich zur Untermauerung seiner Mei-
nung mit einem Verweis auf den Gesetzeswortlaut und die Gesetzesmaterialen des § 334 StPO bescheidet, welche
ânicht den geringsten Anhaltspunktâ einer besonderen Evidenz des Irrtums böten.
47 Nur grundsĂ€tzlich sei erwĂ€hnt, dass die Bedeutung des Begriffs âirrenâ in § 334 StPO sich jedenfalls nicht als so
eindeutig (wie augenscheinlich jedoch von der hM und Rsp angenommen) erweist und demnach nicht ausschlieĂ-
lich so verstanden werden muss, als sei jede differente Entscheidung zwischen den Geschworenen und den Be-
rufsrichtern gemeint; vielmehr erscheint der Begriff in diesem Kontext sehr wohl auch der hier vertretenen Aus-
legung zugÀnglich zu sein bzw liegt jene sogar nÀher als die bisher vertretene.
48 Vgl insofern etwa VfGH 28. 6. 2017, G 344/2016 Rn 7: âDer ĂberprĂŒfung des Wahrspruchs â und damit ebenfalls
der Sicherstellung der Richtigkeit des Wahrspruchs und dem Schutz vor willkĂŒrlichen Entscheidungen â dienen das
Verbesserungs- bzw Moniturverfahren (§ 332 f StPO) sowie die Aussetzung (§ 334 ff StPO)â.
49 Inzident idS wohl auch Moos in FS Rehberg 221 der in Bezug auf die Aussetzung des Wahrspruchs durch den
Schwurgerichtshof davon spricht, dass jener âvon den Berufsrichtern einstimmig fĂŒr so falsch gehalten wird, daĂ
sie das Verfahren aussetzenâ und explizit 226, wonach die Aussetzung durch die Berufsrichter nach § 334 StPO
nur âkrasse Fehlurteileâ erfasse; Ă€hnlich derselbe, JBl 2010, 76 mN in FN 27 (âDie Aussetzung [âŠ] ist nur ein Not-
ventil gegen offensichtlich unrichtige WahrsprĂŒche.â).
50 Siehe hierzu allgemein § 258 Abs 2 StPO sowie explizit fĂŒr das geschworenengerichtliche Verfahren §§ 323 Abs 2,
325 StPO sowie OGH 2. 5. 1962, 12 Os 142/62, OGH 15. 4. 1997, 11 Os 26/97, RIS-Justiz RS0100799 sowie Nimmer-
voll, Strafverfahren 585 mVa RIS-Justiz RS0100799 in FN 1372: âSie (die Geschworenen [Anm des Verfassers]) haben
nach dem Grundsatz der freien BeweiswĂŒrdigung (§ 258 Abs 2) ihrer Ăberzeugung jenen Ausspruch zugrunde zu
legen, der ihnen zutreffend erscheint.â.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal