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ALJ 2019 Christoph Zehetgruber 68
entsprechende und in sich schlüssige, wenngleich im Ergebnis „andere“ Entscheidung in der
Hauptsache als die Berufsrichter bewusst treffen, bildet diese Diskrepanz der Bewertung des Falles
zwischen den beiden Gruppen (noch) keinen diesbezüglichen Irrtum, der zur Aussetzung führen
sollte. Vielmehr handelt es sich in einem solchen Fall nur um das Ergebnis einer – beiden ange-
sprochenen Entscheidungskörpern – zukommenden und wahrzunehmenden Kompetenz der
freien Beweiswürdigung im Strafverfahren,51 wobei nach verfassungsrechtlicher Vorgabe aus-
drücklich die Geschworenen zur Beantwortung der Schuldfrage (samt rechtlicher Beurteilung) be-
rufen sind und ihnen daher in concreto die wesentliche Rolle des grundsätzlichen Entscheiders
zukommt.52
B. Der Sinn und Zweck der Aussetzung sowie zum Verhältnis der freien Beweis-
würdigung im Rahmen des § 334 StPO
Wenn ferner der Sinn von § 334 StPO in der Verhinderung von Fehlurteilen der Geschworenen auf
verkürztem Wege gelegen sei,53 und dies unzweifelhaft ein absolut erstrebenswertes Ziel darstellt,
verwundert es doch, warum der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten durch § 334 StPO keine
Antragsmöglichkeit eingeräumt wird, dieses Ziel miterreichen zu helfen, sondern ein solches Recht
qua ausdrücklicher Wortwahl des Gesetzgebers54 und seitens der Rsp55 generell ausgeschlossen
wird.56 Versteht man insofern die Aussetzung als vollkommen freie Möglichkeit der Berufsrichter,
in jedem Fall eine Entscheidung der Geschworenen ohne Begründung und als Folge dessen, ohne
echte Anfechtungsmöglichkeit nur auf Grund ihres einstimmigen Willens auszusetzen, werden auf
Grund der real in sehr geringem Maße gegebenen Überprüfungsmöglichkeit der Aussetzungsent-
scheidung und gleichsam automatischer Anordnung eines neuen Verfahrens durch den OGH so-
wohl die denkbaren Missbrauchsmöglichkeiten dieses Instruments (zumindest zweimaliges Vor-
Gericht-Stellen einer Person wegen derselben Sache außerhalb eines echten Rechtsmittelverfah-
rens) als auch das der Norm innewohnende Staats- und Rechtsverständnis dieser aus 1850 stam-
menden Bestimmung evident. Ein derartiges Verständnis mutet in einem aufgeklärten, auf die
51 Siehe allgemein zur freien Beweiswürdigung der Geschworenen Kirchbacher, Einführung in das Strafprozessrecht
(2018) Rn 1085 sowie Nimmervoll, Das Strafverfahren 584, wonach das Wesen der freien Beweiswürdigung mit
den Geschworenen durch den Vorsitzenden nach Schluss der Hauptverhandlung erörtert wird. Die österreichische
Verfassung bringt (durchaus aus mannigfaltigen Gründen diskussions- bzw reformwürdig) diese Kompetenz der
Geschworenen zum Ausdruck; eine unterschiedliche Wertigkeit der Entscheidungsfähigkeit der Geschworenen
oder Schöffen gegenüber den Berufsrichten, eine differente Qualität ihrer Stimmen ist gerade nicht gegeben. Im
Falle der schöffengerichtlichen Zuständigkeit kennt das österreichische Strafrecht etwa explizit keine wie immer
ausgestaltete, höhere Wertigkeit der berufsrichterlichen Stimmen gegenüber jenen der Schöffen, wie sie inzident
§ 334 Abs 1 StPO im Verhältnis Geschworene – Berufsrichter zum Ausdruck bringt.
52 So ausdrücklich VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 30; vgl auch Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018,
1099 (1100); ähnlich Huber, JAP 2010/2011, 136; Sadoghi, Geschworengerichtsbarkeit 177, 179. Von Birklbauer,
Strafprozessrecht4 (2018) Rn 13/10, 13/55 wird insofern zu Recht konstatiert, dass die Aussetzung der Entschei-
dung die Beweiswürdigung der Geschworenen korrigiert. Insofern setzt der Schwurgerichtshof (entgegen der An-
sicht von Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 6) sehr wohl seine Auffassung über die Schuld des
Angeklagten an die Stelle der Auffassung der Geschworenen, sie wird nur nicht dem Urteil zu Grunde gelegt, son-
dern führt zu einer neuerlichen Verhandlung.
53 IdS explizit Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 6; Sadoghi, JSt 2008, 81 siehe zu diesem Aspekt
auch die Ausführungen unter III.G.
54 § 334 Abs 1 S 1 StPO idgF: „Ist der Schwurgerichtshof einstimmig der Ansicht, daß sich die Geschworenen bei ihrem
Ausspruch in der Hauptsache geirrt haben, so beschließt er – ohne einen darauf abzielenden Antrag
zuzulassen – , daß die Entscheidung ausgesetzt und die Sache dem Obersten Gerichtshof vorgelegt werde.“ […].
55 OGH 14. 12. 1995, 15 Os 101/95; vgl auch Mayerhofer/Hollaender, Das österreichische Strafrecht – Zweiter Teil
Strafprozessordnung5 §§ 271 – 513 (2004) § 334 Rn 3a.
56 Vgl Groschedl/Oswald/Pavlidis/Pinetz/Schaffer/Ziniel, ecolex 2018, 1044; Schroll in Soyer, Strafverteidigung 51.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal