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ALJ 2019 Die Aussetzung (§ 334 StPO) 73
– wie von der hM76 ausdrücklich oder inzident vorgenommenen – Automatismus der Begründungs-
losigkeit für die Mitglieder des Schwurgerichtshofs in diesem Zusammenhang annehmen zu wol-
len, erscheint auch in Bezug auf die realen Möglichkeiten der Berufsrichter, eine solche Ausset-
zungsbegründung iSd Darlegung des in § 334 Abs 1 StPO genannten Irrtums der Geschworenen in
der Hauptsache qua juristischer Kenntnisse und dauernder Anwesenheit in der Verhandlung bei
tatsächlichem Vorliegen eines solchen vollkommen problemlos bewerkstelligen zu können, (selbst
unter Beachtung der gesetzlichen Regelung des § 341 StPO) wenig überzeugend und dem Straf-
verfahren an sich unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten höchst abträglich.77
Als – zumeist – juristische Laien78 ist es den Geschworenen wohl nicht zuzumuten, ihre Erwägungen
für den Wahrspruch im Stile einer gerichtlichen Entscheidung niederzuschreiben.79 Auch eine um-
fangreichere Verpflichtung zur (bislang nur „kurzen“ Niederschrift) der Erwägungen der Mehrheit
der Geschworenen hinsichtlich der Beantwortung der Fragen iSd § 331 Abs 3 StPO vermag in die-
sem Zusammenhang wegen der tatsächlich vorhandenen Überforderung keine Abhilfe zu schaf-
fen. Weshalb jedoch die Berufsrichter des Schwurgerichtshofs (in praxi wohl der Vorsitzende des
Schwurgerichtshofs), welche die gesamte Verhandlung geleitet haben und auf Grund ihrer beruf-
lichen Fähigkeiten und Kenntnisse sehr wohl fähig sind, eine Begründung ihrer Aussetzungsent-
scheidung zu verfassen,80 von einer solchen Verpflichtung nach § 341 StPO befreit sein sollen, ist
gerade aus rechtsstaatlichem Blickwinkel – bloß beispielhaft sei an dieser Stelle auf das sog Dop-
pelverfolgungsverbot auf Grund der Heranziehung eines (zumindest zu Lasten der Normunterwor-
fenen) fragwürdigen Rechtsinstituts sui generis wie jenem des § 334 StPO sowie auf die in Öster-
reich im Verfassungsrang stehenden Rechte auf ein effektives Rechtsmittel iSv Art 13 EMRK81 sowie
auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verwiesen – mehr als zweifelhaft. Dass somit der Grund-
satz, dass behördliche, in die Rechtssphäre des Einzelnen erheblich eingreifende Entscheidungen
(gerade auch um nachvollziehbar82 und überprüfbar zu sein) einer Begründung bedürfen,83 im Be-
reich der mit höchsten Strafen bedrohten Delikte, die massivste Einschnitte in die persönliche Frei-
heit des Angeklagten bedeuten können, ausgeschaltet sein soll, ist aus rechtsstaatlichen Gesichts-
punkten nicht akzeptabel und wird durch den nebulösen Verweis auf ein „Korrelat“ als „Quasiau-
tomatismus“ (wie auch durch ein etwaig gezogenes, historisches „Argument“)84 in keiner Weise ver-
nünftig begründet.85 Vielmehr rückt es die Aussetzungsentscheidung des § 334 StPO (zumindest)
mangels Nachvollziehbarkeit und diffiziler Überprüfbarkeit in den Bereich der Willkür.
76 Siehe nur Lewisch, AnwBl 2010, 218; Philipp in WK-StPO § 334 Rn 12.
77 So auch Mühlbacher, ALJ 2015, 276, welcher die tatsächliche Stärkung der Geschworenengerichtsbarkeit durch
eine etwaige Begründungspflicht der Aussetzungsentscheidung und die daraus erwachsene, besondere Qualität
der Hauptverhandlung in diesem Zusammenhang ins Treffen führt.
78 Statt vieler Lewisch, Geschworenengerichte 10; derselbe, JBl 2012, 499.
79 Hinterhofer/Oshidari, System Rn 10.2; Lewisch, AnwBl 2010, 222; derselbe, JBl 2012, 499; Mertens, ecolex 2017,
314; Moos, JBl 2010, 76; Mühlbacher, ALJ 2015, 276; Zitta, AnwBl 1986, 499.
80 IdS ferner Mühlbacher, ALJ 2015, 276.
81 Vgl allgemein Reindl-Krauskopf, AnwBl 2010, 226.
82 Sadoghi, Geschworenengerichtsbarkeit 153; Wittek in Soyer, Strafverteidigung 75.
83 So allgemein zustimmungswürdig Reindl-Krauskopf, AnwBl 2010, 226; Sadoghi, Geschworenengerichtsbarkeit 153;
vgl hierzu auch Zitta, AnwBl 1986, 499.
84 Vgl hierzu Mühlbacher, ALJ 2015, 275.
85 Die Genese der Vorschrift des heute in Geltung befindlichen § 341 StPO lässt insofern (analog zur Regelung der
Aussetzung zu Lasten des Angeklagten) darüber hinaus erkennen, wessen Geistes Kind der Inhalt dieser Vorschrift
ist und mag ein Indiz dafür bilden, warum die normierte Begründungslosigkeit der Aussetzung als kaum nachvoll-
ziehbar zu qualifizieren ist, stammt doch auch jene inhaltlich aus der Zeit des autoritären, austrofaschistischen
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal