Page - 78 - in Austrian Law Journal, Volume 1/2019
Image of the Page - 78 -
Text of the Page - 78 -
ALJ 2019 Christoph Zehetgruber 78
an dieser Stelle jedoch nicht dazu verleiten, die Bedeutung dieses Rechtsinstituts per se zu margi-
nalisieren bzw den Blick weg von dessen bereits in mehrfacher Hinsicht angeklungener, schwieri-
ger Vereinbarkeit und Problematik mit dem österreichischen Geschworenengerichtssystem zu len-
ken.
In Bezug auf die Anwendungspraxis des § 334 StPO ist eindeutig eine bemerkenswerte Signifikanz
festzustellen: Nahezu ausschlieĂźlich wird das Urteil zu Lasten des Angeklagten ausgesetzt,106 als
im ersten Rechtsgang ein Freispruch bzw eine rechtliche Beurteilung zu seinen Gunsten entgegen
der ursprĂĽnglichen Anklage ergeht.107 Dieser Umstand zeigt fĂĽr die Aussetzung die in der Rechts-
praxis vollzogene Abkehr von der ursprĂĽnglichen Bedeutung der Norm von einer allein zu Gunsten
des Angeklagten108 wirkenden hin zu einer umfassender heranziehbaren Vorschrift und illustriert
die Verwendung als „Bereinigungsinstrument“ berufsrichterlicher Überzeugung.
Bezeichnend muten in diesem Zusammenhang bereits die Feststellungen von Burgstaller und
Schima (siehe FN 87) an, wonach die zweite Geschworenenbank in den häufigsten Fällen nach einer
Aussetzung zu einer Entscheidung iSd erstzuständigen Schwurgerichtshofs kommt, welche somit
– wie dargelegt – primär zu Ungunsten des Angeklagten ausfällt; dass unter rechtstatsächlichen
Gesichtspunkten eine vollkommen unbeeinflusste zweite Verhandlung tatsächlich stattfindet, er-
scheint daher fernliegend. Hingegen wird auf dieser Basis wohl eher von einer vorhandenen Prä-
judizialität des Aussetzungsbeschlusses per se (vgl III.D.) auszugehen sein bzw ist eine solche als
naheliegend zu bezeichnen.109
Die Aussetzung ist damit in der Rechtswirklichkeit ein im doppelten Sinn (einerseits durch das Be-
seitigen der ersten geschworenengerichtlichen Entscheidung, andererseits in Bezug auf die im
zweiten Rechtsgang verhängte Sanktion) in beinahe ausschließlichem Maße zum Nachteil des An-
geklagten wirkendes Instrument, das nach hM begrĂĽndungslos herangezogen werden kann, und
gegen welches keinerlei echte Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Der (wie aus
um 2%) Lewisch, Geschworenengerichte 32-35; derselbe, AnwBl 2010, 224 f mN; Moos in FS Rehberg 227 mN in
FN 76; Sadoghi, Ă–JZ 2018, 260 mN in FN 66, 68.
106 Eindeutig Sadoghi, Geschworenengerichtsbarkeit 239; dieselbe, JSt 2008, 81 (unter Bezugnahme auf die Daten von
Burgstaller/Schima/Császár); dieselbe, ÖJZ 2018, 260. Von 50 im überprüften Zeitraum von 15 Jahren (1951 – 1965;
Schima in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 59) getroffenen Aussetzungsentscheidungen waren 48 zu Las-
ten des Angeklagten, und nur 2 zu dessen Gunsten erfolgt; Sadoghi, Geschworenengerichtsbarkeit 239; dieselbe,
JSt 2008, 81 mN; dieselbe, ÖJZ 2018, 260 mN; Roeder, JBl 1969, 589; Schima in Burgstaller/Schima/Császár, Ausset-
zung 67. Von jenen 50 im Untersuchungszeitraum dokumentierten Aussetzungen erfolgten nach Burgstaller in
Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 163 und Schima in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 77 darüber
hinaus 12, und damit 24% zu Unrecht, wobei es nach Auffassung der drei Studienautoren in 9 von 50 Fällen (18%)
an einem Irrtum der Geschworenen fehlte, was in jedem Fall einen mehr als beachtenswerten Anteil an fehlerhaf-
ten Aussetzungen ausmacht; vgl zu jĂĽngeren Beispielen einer Aussetzung zu Lasten nur OGH 12. 9. 2018,
13 Os 22/18m; OGH 28. 6. 2018, 12 Ns 27/18v; OGH 14. 5. 2018, 12 Ns 20/18i; Bischof, Wenn sich das Gericht
uneins ist, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtleben/857046_Wenn-sich-das-Gericht-uneins-
ist.html (Stand 23. 3. 2019); Rueprecht, Gott und die Geschworenen, https://derstandard.at/1237229559289/Kom-
mentar-der-Anderen-Gott-und-die-Geschworenen (Stand: 23. 3. 2019).
107 So Moringer in Soyer, Strafverteidigung 69.
108 IdS Sadoghi, Geschworenengerichtsbarkeit 240 ff; dieselbe, JSt 2008, 81, welche zu diesem Zeitpunkt eine Weiter-
entwicklung der Aussetzung (samt eigenem Vorschlag) anmahnte, davon jedoch augenscheinlich (siehe dieselbe,
Ă–JZ 2018, 260 f) wieder abgekommen sein dĂĽrfte.
109 Zur insoweit (jedenfalls nicht größeren) Präjudizialität einer (pro futuro) möglicherweise begründeten, anfechtba-
ren sowie beantragbaren Aussetzungsentscheidung im Vergleich zur derzeit geltenden Rechtslage siehe nur die
AusfĂĽhrungen unter III.D. Die diesbezĂĽgliche Argumentation des VfGH in diesem Zusammenhang (siehe VfGH 27.
6. 2018, G 28/2018 Rn 45; Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018, ÖJZ 2018, 1100) vermag insoweit nicht zu
ĂĽberzeugen.
back to the
book Austrian Law Journal, Volume 1/2019"
Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal