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ALJ 2019 Christoph Zehetgruber 80
kann.115 Die behauptete Unvoreingenommenheit der zweiten Jury (hierzu sogleich), welche bereits
an dieser Stelle der VfGH-Entscheidung zum Ausdruck gelangt, verkennt darüber hinaus die tat-
sächlich zu konstatierende Bindung an den Aussetzungsbeschluss (vgl oben unter III.D., III.G. sowie
FN 87). Auch die (überaus kurze) Darstellung des § 334 Abs 4 StPO durch den VfGH, welcher diese
Bestimmung gewissermaßen als Schutznorm bezüglich des Willens der Geschworenen begreift,
äußert sich leider weder zur Unlogik noch zur Wirkungsproblematik der Norm (zwei vollkommen
unvertretbare, idente Entscheidungen von zwei Geschworenenbänken in der Hauptsache in ein
und derselben Causa bewirken kein rechtsstaatlich akzeptables und gerechtes Ergebnis; vgl III.F.),
und vermag (qua Schweigens) auch nicht darzutun, weshalb der Entscheidung der zweiten Ge-
schworenenbank im Vergleich zu jener der ersten eine stärkere Bindungswirkung zukommen
sollte.116
Wenn der VfGH schließlich (unter Bezugnahme auf § 334 Abs 4 StPO) annimmt, dass es „vor die-
sem Hintergrund […] keinen verfassungsrechtlichen Bedenken“ begegne, „dass der Beschluss über
die Aussetzung der Entscheidung gem § 341 StPO ohne Begründung zu verkünden“ sei,117 da sich
ansonsten ja eine „(faktische) Präjudizierung des weiteren (neuen) Verfahrens“ ergeben könne,
und ferner vermeint, die Begründungslosigkeit der Aussetzung stelle innerhalb des vom einfachen
Gesetzgebers geschaffenen Systems der Geschworenengerichtsbarkeit ein wesentliches Element
der autonomen Urteilsbildung durch die zweite Geschworenenbank dar,118 ist diesen Ausführun-
gen auf Grund der dargelegten, per se existenten Präjudizialität der Aussetzungsentscheidung (ob
mit oder ohne Begründung) für das zweite Verfahren nicht beizupflichten. Dass die den ersten
Rechtsgang beendende Aussetzungsentscheidung unbegründet zu sein habe, ist demnach gerade
kein wesentliches Element autonomer Urteilsbildung für die zweite Gruppe der Geschworenen.
Die Ansicht des Gerichtshofs, dass die fehlende Begründung der Aussetzungsentscheidung keinen
Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK darstelle, da Entscheidungen
zwar im Allgemeinen zu begründen seien, jedoch „die Begründungspflicht im Hinblick auf das We-
sen einer bestimmten Entscheidung differenziert zu beantworten sein“ könne, und die Begrün-
dungslosigkeit der Aussetzungsentscheidung sich deshalb „konsistent in das in der StPO festge-
legte System der Geschworenengerichtsbarkeit einfüge“, […] „weil die Berufsrichter sonst über die
ihnen zugewiesene Aufgabe hinaus eine Beurteilung der Schuldfrage darzulegen hätten“,119 ver-
fängt nicht. Auch nach derzeitiger Rechtslage bringen die Berufsrichter (nicht ausdrücklich, jedoch
eindeutig) durch die Aussetzungsentscheidung selbst ihre (im Verhältnis zu den Geschworenen)
115 Einen etwaigen Verstoß gegen das in Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK niedergelegte Recht, in ein und der-
selben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden, konnte der VfGH im Fall des § 334 StPO
jedoch nicht erkennen, da ein solcher Eingriff ein rechtsgültig abgeschlossenes Strafverfahren voraussetze. Man-
gels eines verkündeten Urteils im Rahmen der Aussetzung sei das anhängige Strafverfahren in diesem Fall jedoch
nicht beendet; siehe VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 76 f: Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100;
Groschedl/Oswald/Pavlidis/Pinetz/Schaffer/Ziniel, ecolex 2018, 1044.
116 Darüber hinaus schafft die (mit der Entscheidung des VfGH gleichsam abgesicherte) derzeitige Rechtslage eine
„Zweiklassengesellschaft von Geschworenen“ (mit differenten Wirkungen derer Entscheidungen): Jene, deren Ent-
scheidung jederzeit über § 334 StPO beseitigt werden können, und jene, deren Entscheidung in Bezug auf die
genannte Norm unangreifbar sind.
117 VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 45; Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100.
118 VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 45; Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100.
119 VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 58; Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100; siehe auch Gro-
schedl/Oswald/Pavlidis/Pinetz/Schaffer/Ziniel, ecolex 2018, 1044.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2019
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2019
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 126
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal