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ALJ 2021 S.-F. Kraus 20
als Zufall die Rede ist.124 Ist das Ereignis der „Schaden durch Zufall“ in Bezug auf denjenigen,
in dessen Vermögen oder Person er sich zuträgt, so kann dieser keinen Ersatz von einem
anderen Rechtsträger verlangen, wenn und weil ihn der Zufall trifft (§ 1311 ABGB). Die
Redaktoren haben die Regel, „daß der Zufall nur dem Eigenthümer schade (casus nocet
domino)“, im Anschluss an das Beispiel angeführt, das Zeiller in die Beratung einbrachte. Nach
dem Beispiel Zeillers untersagt ein Arzt „nach schon geschehenem Versprechen“ die
EheschlieĂźung.125 Die Mehrheit der Stimmen erachtete denjenigen fĂĽr ersatzpflichtig, dem
der Arzt die Eheschließung untersagt, weil er die „causa materialis des Rücktrittes“ sei und
die Regel „casus nocet domino“ eintrete.126 Folglich bezogen die Redaktoren das zu tragende
zufällige Ereignis nicht auf das Erleiden eines Schadens, sondern auf den Umstand, der einer
Eheschließung entgegenstehen kann und zwar in Bezug auf denjenigen, in dessen Vermögen
oder Person er sich ereignet.127 Kehrseite davon ist es aber eben gerade, den anderen
Verlobten – vorbehaltlich eines Rücktrittsgrunds – von Schäden zu entlasten, die ihm der
Nichtabschluss der in Aussicht gestellten Ehe verursacht. Damit lässt sich der Zugang der
Redaktoren zu § 46 ABGB durchaus mit einem Verständnis von § 1311 S 1 ABGB als
Anordnung der Nichthaftung im Fall des Schadens durch Zufall harmonieren.128
Gegen die Verschuldensunabhängigkeit der Haftung nach § 46 ABGB könnte außerdem das
Verfahren ausländischer Rechtsordnungen mit dem Parallelproblem eingewendet werden.129
Sofern ausländische Rechtsordnungen bereits in der Vergangenheit als Argument für eine
Verschuldenshaftung ins Treffen gefĂĽhrt wurden, dĂĽrfte darauf aus gutem Grund nicht das
argumentative Schwergewicht gelegt worden sein. Denn es will hier freilich nicht bestritten
werden, dass eine rechtsvergleichende Betrachtung aufschlussreiche Erkenntnisse liefern
kann. Allerdings ist nicht einzusehen, warum die (spätere) Bewertung ausländischer
Gesetzgeber fĂĽr eine bestimmte Auslegung nationaler Regelungen sprechen sollte. Der
Bewertung durch einen ausländischen Gesetzgeber kann jedenfalls keine ausschließliche
„Richtigkeit“ attestiert werden. Hinzu tritt vor allem aber, dass methodologisch nicht
ersichtlich ist, wie es sich bewerkstelligen ließe, die (spätere) Bewertung ausländischer
Gesetzgeber gegen einen erklärten Willen des nationalen Gesetzgebers durchschlagen zu
lassen.130
124 Siehe bereits Schoberlechner (Der Zufall im Zivilrechte, GZ 1889, 217, 225, 234, 242, 249, 257, 265 [265], 273), der von einer
„Relativität des Zufallsbegriffes“ spricht. Wohl ähnlich Karollus, Schutzgesetzverletzung 10.
125 Beratungsprotokolle zum ABGB, abgedr bei Ofner, Protokolle I 71.
126 Beratungsprotokolle zum ABGB, abgedr bei Ofner, Protokolle I 71.
127 Siehe dazu ferner Dolliner, Eherecht I² 21.
128 Vgl Schoberlechner (GZ 1889, 217, 225, 234, 242, 249, 257, 265 [265], 273). Damit scheint mir dem Einwand Koziols
(Haftpflichtrecht II3 A 6 Rz 303 in Fn 4) gegen Oberhofer (Ă–JZ 1994, 438) hinreichend Rechnung getragen. Nicht zwingend ist
im Übrigen, dass ein geändertes Verständnis des § 1311 ABGB auf die Voraussetzungen der Haftung nach § 46 ABGB
„durchschlägt“ (vgl auch die Nachweise in Fn 31). Denn dafür müsste doch bewiesen werden, dass die Redaktoren § 43
ABGB mit § 1311 ABGB untrennbar gleichschalten wollten. Spekulativ bleibt jedoch, wie die Redaktoren § 46 ABGB
angesichts des heutigen Verständnisses von § 1311 ABGB ausgestaltet bzw das Verhältnis von § 46 ABGB zum heutigen
Verständnis von § 1311 ABGB bewertet hätten. Ungewiss bleibt daher, ob sie die Voraussetzungen der Haftung bei
Verlöbnisrücktritt bei Zugrundelegen des heutigen Verständnisses von § 1311 ABGB tatsächlich anders bewertet hätten.
Dagegen spricht, dass eine Tatsache historisch gewiss ist. Gewiss ist, dass die Redaktoren eine Verschuldenshaftung
ablehnten (s Punkt VI.).
129 Nach Koziol (JBl 1975, 61 [62]) soll ein Vergleich mit dem deutschen Recht gegen das Verschuldenserfordernis sprechen,
weil § 1298 BGB kein Verschulden voraussetzte (s aber bereits Canaris, AcP 165 [1965] 1 [4] und aus der jüngeren Lit zB
Kroll-Ludwigs in Erman, BGB16 [2020] § 1298 Rz 6). Das gleiche gelte auch für das schweizerische Recht.
130 Siehe auch Krasnopolski, GZ 1904, 379, 388, 395 (397 bei und in Fn 125).
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Austrian Law Journal
Volume 1/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 59
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal