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ALJ 2021 Lindenbauer 34
Wird die Erforderlichkeit der restriktiven Regelung hingegen bejaht, weil keine weniger
einschränkende Maßnahme geeignet erscheint, so kann einer Unionsrechtskonformität noch
deren Unangemessenheit entgegenstehen. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren
Sinn bezieht sich im Gegensatz zu den vorangegangenen beiden Tests nicht mehr auf das
Verhältnis zwischen den Maßnahmen und deren legitimer Ziele, sondern beinhaltet eine
Abwägung zwischen den Interessen der EU und jenen des betreffenden Mitgliedstaates.74 Je
gravierender die Einschränkung der Grundfreiheiten ist, desto bedeutender muss das
verfolgte nationale Interesse sein. Wohl auch aufgrund des Umstandes, dass die Vornahme
einer Interessenabwägung äußerst heikel sein kann,75 wird die Angemessenheit einer
Maßnahme vom EuGH jedoch – wie bereits erwähnt – nur in Ausnahmefällen geprüft. Meist
versucht der Gerichtshof, mit einer Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit das
Auslangen zu finden.76
B. Kritikpunkte gegenüber der früheren österreichischen Judikatur
Sowohl die Geeignetheit als auch die Erforderlichkeit der früheren österreichischen Judikatur,
der zufolge im Ausland begründete publizitätslose Mobiliarsicherheiten mit Grenzübertritt
unwirksam werden, wurde in der Literatur allerdings vermehrt in Zweifel gezogen. So
bestünde ein gelinderes Mittel zum Verkehrs- und Vertrauensschutz einer Ansicht nach etwa
in der Einführung eines Registerpfandes.77 Hinsichtlich des Schutzes der Güterordnung sei
außerdem zu beachten, dass die gänzliche Nichtanerkennung eines ausländischen
Sicherungsrechtes nur dann erforderlich sei, wenn dieses mit der österreichischen
Rechtsordnung gänzlich inkompatibel ist und sich keinem inländischen Rechtsinstitut
assimilieren lässt.78
In diesem Zusammenhang gilt es allerdings hervorzuheben, dass etwa gerade das Problem
der Nichtanerkennung von deutschem Sicherungseigentum nicht durch „Anpassung“ gelöst
werden kann. Wie Lurger richtig hervorhebt, ist das Sicherungseigentum mit gleichem Inhalt
sowohl in Österreich als auch in Deutschland bekannt. Unterschiede bestehen lediglich in
den Voraussetzungen für eine wirksame Begründung und Aufrechterhaltung.79 Hinsichtlich
der Einführung eines Registerpfandes ist darüber hinaus zu beachten, dass dieses in Bezug
auf sämtliche in Frage kommenden Ziele des Faustpfandprinzipes ebenso geeignet sein
müsste, um die Erforderlichkeit der früheren von der Rspr angewandten Regel verneinen zu
können.80 Ob dies tatsächlich der Fall ist, soll nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. Es
sei jedoch angemerkt, dass hierzu bereits Zweifel geäußert wurden.81
Entscheidend ist zunächst vielmehr ohnehin die Geeignetheit einer Maßnahme. Genau
darauf bezog sich auch die meiste Kritik in Bezug auf die frühere Judikatur – und zwar
insbesondere auf das mögliche Ziel des Verkehrs- und Vertrauensschutzes: Besitz sei nämlich
74 Vgl Ehlers in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten4 § 7 Rz 130; Mathisen, Common Market Law Review
2010, 1046; Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 272; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5 AEUV Art 36 Rn 98.
75 Vgl Jans, Legal Issues of Economic Integration 2000, 248.
76 Siehe bereits FN 65.
77 Vgl etwa Schacherreiter, ZfRV 2005, 183; Roth in Eidenmüller/Kieninger, Future of Secured Credit 57.
78 Verschraegen in Rummel, ABGB3 § 31 IPRG Rz 30 mwN; Schacherreiter, ZfRV 2005, 181. Vgl auch Basedow, RabelsZ 1995
(59) 45 f.
79 Lurger, IPRax 2019, 561.
80 Vgl FN 72 f.
81 Vgl Berner, Wohlerworbene Rechte 351, wonach eine Registrierungspflicht „wohl kein gleich wirksames Mittel“ sei.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 59
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal