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ALJ 2021 Mobiliarsicherheiten 35
einer Ansicht nach schon ganz allgemein nicht in der Lage, den Haftungsfonds einer Person
widerzuspiegeln, weil die beim Schuldner befindlichen Sachen auch gemietet, geleast oder
geliehen sein könnten.82 Hierbei schwingt bereits einer der Hauptkritikpunkte mit, welcher in
der Literatur immer wieder genannt wurde: Eine fehlende „Konsequenz“ oder auch
„Stimmigkeit“ bzw „Folgerichtigkeit“ der früheren österreichischen Judikatur, welche einer
Rechtfertigung entgegenstünde. Als zentrales Beispiel wurde in der Literatur speziell auf die
Anerkennung des publizitätslosen Eigentumsvorbehalts verwiesen.83 Schon Kieninger führte
aus, dass ein Sachenrechtsprinzip, welches nicht durchgehend verwirklicht ist, für eine
bestimmte Güter- und Gläubigerordnung nicht mehr kennzeichnend sei und daher nicht zur
Rechtfertigung herangezogen werden könne.84
Tatsächlich betont der EuGH vor allem in jüngerer Zeit immer wieder, dass eine restriktive
Maßnahme nur dann als verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn die vorgegebenen
Ziele „in kohärenter und systematischer Weise“ verfolgt werden.85 Während diverse Stimmen
in der Literatur zwar des Öfteren einen gewissen Widerspruch zwischen der Anerkennung
des publizitätslosen Eigentumsvorbehaltes und dem grundsätzlich strengen
Publizitätsprinzip erkannten und bereits daraus eine Unionsrechtswidrigkeit ableiteten,86
wurden die entsprechenden, vom EuGH heute herangezogenen Kriterien zum
Kohärenzgebot bisher kaum tiefergehend untersucht. Dies mag auch daran liegen, dass der
Gerichtshof seine Rechtsprechung in Bezug auf die Kohärenz einer nationalen restriktiven
Maßnahme erst ab etwa der Jahrtausendwende näher konkretisierte. Daher soll der Fokus
der nachstehenden Untersuchung nun genau auf diese Anforderung gelegt werden.
C. Das Kohärenzerfordernis des EuGH
Wie oben schon ausgeführt, verweist der EuGH im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung von
restriktiven nationalen Maßnahmen nunmehr immer öfter auch ausdrücklich auf das
Erfordernis, dass die vom betreffenden Mitgliedstaat vorgegebenen Ziele „in kohärenter und
systematischer Weise“ zu verfolgen sind.87 Mittlerweile kann das durch diese Formulierung
ausgedrückte Kohärenzgebot des EuGH als allgemeine Anforderung für restriktive
Maßnahmen gesehen werden.88 Auf den ersten Blick erscheint fraglich, ob dieses eine völlig
eigenständige Schranke darstellt.89 Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass
82 Schacherreiter, ZfRV 2005, 183; von Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht (1996) 169. Vgl auch P. Bydlinski,
ÖJZ 1986, 327 (333 f).
83 Vgl FN 9.
84 Kieninger, Mobiliarsicherheiten 180.
85 Vgl FN 11 und näher die Ausführungen in Kap IV.C.
86 Vgl insb die in FN 9 genannte Lit.
87 Vgl FN 11 sowie die Beispiele unten ab FN 100 ff.
88 Streinz/Kruis, Unionsrechtliche Vorgaben und mitgliedstaatliche Gestaltungsspielräume im Bereich des Glücksspielrechts,
NJW 2010, 3745 (3747); Barbist/Pinggera, Zur Zulässigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols, EuZW 2010, 286.
Vgl auch Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 272; Mathisen, Common Market Law Review 2010, 1021 ff.
89 So zB Lippert, Das Kohärenzerfordernis des EuGH, EuR 2012, 90 (92 f). Dessen Argumentation vermag jedoch nicht zu
überzeugen, da sich Inkohärenzen nicht zwingend durch mindestens zwei sich widersprechende Maßnahmen ergeben,
sondern, wie im Folgenden aufgezeigt wird, auch durch Widersprüche in Bezug auf die vorgegebenen Ziele innerhalb einer
einzigen Maßnahme entstehen können.
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Austrian Law Journal
Volume 1/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 1/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 59
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal