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ALJ 2/2015 Helmut Koziol 189
Höchst bemerkenswert ist, dass in Skandinavien – aber auch in Polen11 – die Konzentration auf
den Kompensationsgedanken zumindest im Bereich der Personenschäden letztlich zu einer weit-
gehenden Befreiung der verantwortlichen Schädiger führt, die den Schaden in zurechenbarer
Weise herbeigeführt haben: Den Sozialversicherungsträgern wird kein Rückgriff gegen die Schä-
diger eingeräumt, ausgenommen dieser handelt vorsätzlich.12 Es erscheint zumindest auf den
ersten Blick eher abwegig, jedenfalls höchst sachwidrig und dem Grundgedanken weitgehender
Schadenszurechnung widersprechend, dass verantwortliche Täter durch eine soziale Einrichtung
von ihrer Haftung endgültig befreit werden. Auch dass dadurch die Präventionsfunktion des
Schadenersatzrechts insofern vollkommen beseitigt wird, hat offenbar in der Diskussion keine
wesentliche Rolle gespielt, vor allem – wie betont wird – wegen der Überzeugung, dass dem
Schadenersatzrecht diese Funktion ohnehin nicht zukomme. Verhindert wird damit immerhin
eine Überkompensation der Geschädigten, doch hätte dies auch durch einen Übergang der
Ersatzansprüche in Höhe der Sozialleistung auf die Sozialversicherungsträger erreicht werden
können.
Als Vorteil der skandinavischen Lösung könnte gesehen werden, dass die weitgehende Befreiung
des verantwortlichen Täters von der Ersatzpflicht diesem die Tragung der oft sehr hohen Ersatz-
leistungen bei Personenschäden erleichtert; damit wird auch die Wahrscheinlichkeit der Kom-
pensation der über die Sozialversicherung hinausgehenden Schäden erhöht. Soweit Haftpflicht-
versicherungen bestehen, fĂĽhrt die Sozialversicherung im Ergebnis allerdings in Wahrheit nur zur
Entlastung der Haftpflichtversicherer und nicht der Schadenersatzpflichtigen. Die Haftpflichtver-
sicherten genieĂźen allenfalls lediglich den Vorteil, dass sie durch eine Verbilligung der Haft-
pflichtversicherung teilweise von Versicherungsprämien befreit werden. Doch werden die ent-
sprechenden Kosten auf die Allgemeinheit, der die Finanzierung der Sozialversicherung obliegt,
überwälzt.13
Das Schadenersatzrecht wird somit im skandinavischen, aber auch im polnischen Recht fĂĽr den
Bereich der Personenschäden in einer nicht sehr befriedigend erscheinenden Weise teilweise
verdrängt, nämlich im Umfang der Sozialleistung, und dient letztlich nur mehr einer Ergänzung
der Sozialleistungen.14
IV. Das neuseeländische System
In keinem europäischen Land wurde für den Bereich der Personenschäden das Haftpflichtrecht
durch eine allgemeine Versicherungslösung vollständig ersetzt und es bestehen heute diesbezüg-
lich auch keine ernsthaften Bestrebungen.15
Wohl aber wurde in Neuseeland ein umfassendes verschuldensunabhängiges, staatlich unter-
stütztes Ersatzsystem für Personenschäden eingeführt16, das für diesen Bereich das Schadener-
11 Askeland in Koziol Rz 2/2; Ludwichowska-Redo, Polen, in Koziol (Hrsg), Grundfragen des Schadenersatzrechts aus
rechtsvergleichender Sicht (2014) Rz 3/36 f.
12 Askeland in Koziol Rz 2/4 bei Fn 7.
13 Askeland in Koziol Rz 2/5.
14 Askeland in Koziol Rz 2/2 f und 2/6.
15 Siehe Oliphant, England und Commonwealth, in Koziol (Hrsg), Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechts-
vergleichender Sicht (2014) Rz 5/18.
16 Dazu jĂĽngst etwa Oliphant in Koziol Rz 5/22 ff; Oliphant, Landmarks of No-Fault in the Common Law, in van Boom/
Faure (Hrsg), Shifts in Compensation Between Private and Public Systems (2007) 43 (68 ff).
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal