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ALJ 2/2015 Eigentumsvorbehalt und Publizität 214
schieben des Eigentumsübergangs vorgesehen.9 Dieses Konzept hat man allerdings schließlich aus
rein schuldrechtlichen Erwägungen aufgegeben und in § 1063 ABGB angeordnet, dass auch ohne
erfolgte Kaufpreiszahlung das Eigentum bei Übergabe der Sache an den Käufer übergehe.10 In
sachenrechtlicher Hinsicht hätte sich angesichts solcher Konzepte die Frage aufgedrängt, inwieweit
sich eine publizitätslose dingliche Sicherung der Kaufpreisforderung mit den zwingenden Publizi-
tätserfordernissen im Pfandrecht verträgt. Eine Diskussion dieser Frage ist in den überkommenen
Gesetzesmaterialien nicht dokumentiert. Es liegt wohl nahe, dass die Frage eines allfälligen Wer-
tungswiderspruchs gar nicht gesehen wurde. Zumindest gegen Ende der Kodifikationsarbeiten,
als der gleichsam gesetzliche Eigentumsvorbehalt durch die heute in § 1063 ABGB enthaltene Rege-
lung wieder beseitigt war, hat sich die Publizitätsfrage auch nicht mehr unmittelbar gestellt.
Im Zuge der Vorarbeiten zum deutschen BGB hat man diese Diskussion durchaus geführt. Dass
auch dort die Abkehr von der römisch-gemeinrechtlichen Mobiliarhypothek11 endgültig vollzogen
und das Pfandrecht dem Faustpfandprinzip unterstellt werden würde, war praktisch ausgemachte
Sache.12 Kritische Stimmen erachteten den publizitätslosen Eigentumsvorbehalt, der sich in der
deutschen Kautelarpraxis des späten 19. Jahrhunderts ebenso wie die durch Besitzkonstitut vor-
genommene Sicherungsübereignung zunehmend durchsetzte, denn auch für inkompatibel mit
diesen strengen Publizitätsanforderungen beim Pfand.13 Die Kritiker standen freilich auf verlore-
9 Im Kern sollte das Eigentumsrecht im Fall der Sachübergabe ohne Kaufpreiszahlung in Anlehnung an Institutionen
2, 1, 41 dann beim Verkäufer verbleiben, wenn die Zahlung vom Verkäufer nicht kreditiert worden ist (der Verkäufer
also eigentlich Zahlung bei Übergabe hätte erwarten können). Der Verkäufer sollte dann binnen relativ kurzer
Zeit (von zunächst acht, später drei Tagen) gestützt auf sein Eigentumsrecht vom Käufer die Rückgabe der Sache
verlangen können. Siehe mit Unterschieden im Einzelnen Codex Theresianus III 9 n 127 f, Entwurf Horten III 9 §§ 59,
61 und Entwurf Martini III 6 §§ 16 f, abgedruckt in Harras von Harrasowsky, Der Codex Theresianus und seine
Umarbeitungen III (1884), IV (1886) bzw V (1886). Näher W. Faber, Mobiliarsicherungsrecht II.B.6.2.
10 Im Zuge der Revision des Urentwurfs befand man, dass das Unterstellen einer stillschweigenden Kreditierungsver-
einbarung nach Verstreichenlassen dreier Tage durch den unbezahlten Verkäufer mit der Natur eines Kaufvertrags
unvereinbar sei; vielmehr sei mangels gegenteiliger Vereinbarung sogleich zu zahlen. Vgl Ofner, Der Ur-Entwurf
und die Berathungs-Protokolle des Oesterreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches II (1889) 412. Im
Zuge der Änderung dieser schuldrechtlichen Regelung entfiel auch die Grundlage für ein Hinausschieben des Eigen-
tumsübergangs bis zum Ablauf des dritten Tags ab Sachübergabe. Näher zur Begründung dieser Änderungen bei
W. Faber, Mobiliarsicherungsrecht II.B.6.2.
11 Nach justinianischem und ab dem Spätmittelalter rezipiertem gemeinem Recht konnte ein Pfandrecht an beweg-
lichen körperlichen Sachen sowohl durch Übergabe (Besitzpfand) als auch völlig formlos durch Vereinbarung be-
gründet werden (Mobiliarhypothek). Im Lauf der Zeit wurde die Mobiliarhypothek aus mehreren teils ineinan-
dergreifenden Gründen allerdings zunehmend als unbefriedigend, schließlich als untragbar empfunden: Insb hat
die Verpfändung des gesamten gegenwärtigen und zukünftigen Vermögens (Generalhypothek) allgemeine Ver-
breitung gefunden, war nicht zuletzt hierdurch die mehrfache Belastung ein und desselben Vermögenswerts mit
verschiedenen Pfandrechten häufig und die dann entscheidende Ermittlung der Prioritätsverhältnisse durch man-
nigfaltige gesetzliche, teils mit Rangprivilegien ausgestattete Pfandrechte erschwert. Das römisch-gemeinrechtliche
Pfandrechtssystem galt schließlich allgemein als unübersichtlich und risikoreich. Überblick zur Entwicklung etwa
bei Zwalve/Sirks, Grundzüge der europäischen Privatrechtsgeschichte – Einführung und Sachenrecht (2012) 401 ff;
Hromadka, Die Entwicklung des Faustpfandprinzips im 18. und 19. Jahrhundert (1971) 18 ff, 43 ff; W. Faber, Mobiliar-
sicherungsrecht II.A.
12 Zum allgemeinen Durchbruch des Faustpfandprinzips in der Kodifikationsepoche für die deutschen Länder insb
Hromadka, Faustpfandprinzip 41 ff (167 ff speziell zu den Vorarbeiten zum BGB). Überblick zur Entwicklung in
Frankreich bei Zwalve/Sirks, Privatrechtsgeschichte 432 ff. Zur Kodifikationsphase in Deutschland und Österreich
nun auch W. Faber, Mobiliarsicherungsrecht II.B.
13 Prominent insb Johow, der Verfasser des Teilentwurfs zum BGB-Sachenrecht, der den weiteren Beratungen
zugrunde lag; siehe § 137 TE-Sachenrecht samt Begründung bei Johow, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches
für das Deutsche Reich – Sachenrecht II (1880) 783 ff = Schubert (Hrsg), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste
Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches – Sachenrecht II (1982) 917 ff. Für
Unwirksamkeit wegen Gesetzesumgehung ferner zB Cosack, Das Sachenrecht mit Ausschluß des besonderen
Rechts der unbeweglichen Sachen im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (1889)
15; Leist, Die Sicherung von Forderungen durch Uebereignung von Mobilien (1889/Nachdruck 1970) 48, 98, 107
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal