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ALJ 2/2015 Wolfgang Faber 215
nem Posten. Die „Omnipotenz des wirthschaftlichen Bedürfnisses“14, den Kaufvertragsparteien
ein einfach zu handhabendes Sicherungsrecht an die Hand zu geben, das dem Käufer die sofortige
Sachnutzung bei Aufschiebung der Zahlung ermöglicht und zugleich dem Verkäufer eine dingliche
Sicherheit fĂĽr seinen Kaufpreisanspruch verschafft, war zu stark. Bereits die erste Kommission
gab grünes Licht, wenngleich mit einer zur Rechtfertigung eines publizitätslosen Eigentumsvor-
behalts gegenüber dem publizitätspflichtigen Pfandrecht unhaltbaren Begründung.15 Zu einer
tiefergehenden Prüfung der Publizitätsfrage kam es in den weiteren Beratungen nicht mehr; der
publizitätslose Eigentumsvorbehalt wurde mehr oder weniger „durchgewunken“16 und nach In-
krafttreten des BGB, das dem Eigentumsvorbehalt mit § 455 aF BGB (der Vorläuferbestimmung
des heutigen § 449 BGB) immerhin eine positive Regelung widmete17, nur noch vereinzelt infrage
gestellt.18
Nach Jahren dogmatischer Unsicherheit hat der OGH in einer 1916 ergangenen Grundsatzent-
scheidung das im deutschen Recht vorgezeichnete Konzept des Eigentumsvorbehalts als Ăśber-
eignung unter aufschiebender Bedingung rezipiert. Ausweislich der BegrĂĽndung ging es ihm in
erster Linie darum, dem „Bedürfnis der Verkäufer nach Schutz gegen unredliche Veräußerungen
oder Verpfändungen der Kaufgegenstände durch die Käufer (besonders Ratenkäufer)“ Rechnung
zu tragen.19 Auch hier steht also das praktische Bedürfnis – konkret formuliert als solches des
Verkäufers an einer erga omnes wirkenden Kaufpreissicherung – im Vordergrund. Allfällige
Bedenken im Hinblick auf die im Pfandrecht verankerten Publizitätsgrundsätze kommen nicht
(sowie allgemein zur bedingten Ăśbereignung 16 ff, 43 ff); Cohen, Die geschichtliche Entwicklung des Eigenthumsvor-
behaltes, GrĂĽnhutsZ 21, 689 (721 ff) mwN.
14 Cohen, GrünhutsZ 21, 726, im Kontext seiner Erörterung sog „Möbelleihverträge“, mit denen sich die Vertrags-
praxis auch in jenen deutschen Staaten durchzusetzen vermochte, in denen die Partikulargesetzgeber den dinglich
wirkenden Eigentumsvorbehalt zu verhindern gesucht haben (so zB das preußische ALR I 11 § 266 iVm §§ 261 f:
lediglich schuldrechtlicher Anspruch des Verkäufers auf Rückübereignung).
15 Den Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Irreführung Dritter aufgrund mangelnder Publizität begegnete man
mit dem Hinweis auf die Einführung von – durch die erste Kommission gegenüber den Vorentwürfen nochmals
erweiterten – Regelungen über den gutgläubigen Eigentums- (und Pfandrechts-)Erwerb; vgl Jakobs/Schubert (Hrsg),
Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten
Quellen – Sachenrecht I (1985) 588 (zu §§ 929–931 BGB). Unterschiedliche Publizitätsanforderungen bei Eigen-
tumsvorbehalt und Pfandrecht lassen sich durch Verweis auf die Möglichkeit eines Gutglaubenserwerbs natürlich
nicht erklären. Mit diesem Argument hätte man ebenso die Wiederzulassung der Mobiliarhypothek rechtfertigen
können. Näher auch hierzu W. Faber, Mobiliarsicherungsrecht II.B.6.1.
16 Zu einer nochmaligen Diskussion kam es nach zunächst von einer Minderheit abermals vorgebrachten Bedenken
im Hinblick auf fehlende Kompatibilität mit dem Faustpfandprinzip (Protokolle II 1758 f = Mugdan, Die gesammten
Materialien zum BĂĽrgerlichen Gesetzbuch fĂĽr das Deutsche Reich II [1899] 781) letztlich mangels Widerspruchs
zur Mehrheitsauffassung nicht mehr (Protokolle III 3690 f = Mugdan, Die gesammten Materialien zum BĂĽrgerlichen
Gesetzbuch fĂĽr das Deutsche Reich III [1899] 627).
17 § 455 aF BGB sieht zwei hier nicht weiter interessierende Auslegungsregeln vor: Erstens erfolge bei Vereinbarung
eines Eigentumsvorbehalts die Ăśbertragung des Eigentums im Zweifel unter der aufschiebenden Bedingung der
vollständigen Kaufpreiszahlung. Zweitens sei der Verkäufer bei Zahlungsverzug zum Rücktritt berechtigt. Publizi-
tätsfragen sind in dieser Bestimmung hingegen nicht angesprochen.
18 So etwa bei Fuchs, Pseudonyme Rechtsgeschäfte – Kritische Anmerkungen zur Theorie der modernen Fiduziarge-
schäfte unter besonderer Berücksichtigung der Scheingeschäfts- und Umgehungsfrage, AcP 115 (1917) 84. Erwide-
rung zu den gegen den Eigentumsvorbehalt insb unter Publizitätsgesichtspunkten erhobenen Vorwürfen etwa
bei Rühl, Eigentumsvorbehalt und Abzahlungsgeschäft – einschließlich des Rechts der Teilzahlungsfinanzierung
(1930) 23 ff (vgl auch dort 310 ff ablehnend gegenüber zusätzlicher Publizierung durch damals vereinzelt vorge-
schlagene Registerverfahren).
19 OGH Präs 176/16 AmtlSlgNF 1.712 = JB 246. An späterer Stelle im selben Urteil hält der OGH etwas relativierend
fest, der Sicherungszweck zugunsten des Verkäufers werde durch den Eigentumsvorbehalt verwirklicht, „soweit
es nur mit Rücksicht auf die §§ 367 und 456 ABGB. überhaupt möglich ist“. Überblick zur österreichischen Judikatur-
entwicklung vor dieser Grundsatzentscheidung bei W. Faber, Mobiliarsicherungsrecht II.B.6.2.2.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal