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ALJ 2/2015 Wolfgang Faber 223
2. Verzicht auf Publizität aufgrund bloßer Wiederherstellung
eines Zug-um-Zug-Austauschs
Der Vorleistungsaspekt begegnet daher typischerweise in anderem Gewand: Der Eigentumsvor-
behalt führe trotz Vorleistung des Verkäufers in Gestalt der Sachübergabe zu einer möglichst
weitgehenden Annäherung an das Zug-um-Zug-Prinzip (§ 1052 ABGB), indem zumindest das
Eigentum dem Käufer erst dann verschafft wird, wenn er den Kaufpreis vollständig entrichtet.43
In seinem angestammten Kontext, dem Kaufrecht, also auf einer schuldrechtlichen, zweipersonalen
Ebene, wirkt dieses Argument ĂĽberzeugend. Das Zug-um-Zug-Prinzip hat hier Leitbildfunktion.
Seine innere Legitimität leuchtet unmittelbar ein, werden doch beide Parteien, wenn sie ihre
Leistungen zeitgleich austauschen, hinsichtlich des Risikos eines Unterbleibens der Gegenleistung
auf einfachste Weise gleich behandelt. Daher mutet es auch als gerecht an, wenn die Parteien, die
sich durch Kreditierung der Kaufpreiszahlung vom Gedanken eines gleichzeitigen Leistungsaus-
tauschs fortbewegen, sich diesem im Gegenzug durch Hinausschieben der zweiten Kardinalpflicht
eines Verkäufers, der Eigentumsverschaffung, wieder annähern. Das Bild vom gerechten Aus-
gleich zwischen zwei Parteien lädt zudem zur Erweiterung ein: Die Gläubiger des Käufers, um deren
Interessen es bei der Entscheidung über Publizitätserfordernisse ja gehen müsse, treten gewisser-
maßen in die Schuhe des Käufers. Was für diesen billig ist, werde für jene nicht nachteilig sein.44
Diese kaufrechtliche Perspektive auf den Eigentumsvorbehalt ist nachvollziehbar. Der Sicherungsef-
fekt wird ja durch bloßes Hinausschieben der Erfüllung einer Verkäuferpflicht erreicht. Die Perspek-
tive erscheint uns zudem vertraut: Dass der Eigentumsvorbehalt bei § 1063 ABGB – also eben im
Kaufrecht – behandelt wird, hat in systematischen Darstellungen zum österreichischen Privat-
recht Tradition45 und ist in der Kommentarliteratur geradezu typisch46; ähnlich in Deutschland,
wo der Eigentumsvorbehalt mit § 455 aF bzw § 449 nF BGB im Kaufrecht seine einzige positive
Regelung im Zivilgesetzbuch erfahren hat. Zugleich verstellt diese kaufrechtliche Perspektive zum
Teil den Blick auf wesentliche Zusammenhänge, gerade wenn es um das Verhältnis zwischen
Eigentumsvorbehalt und anderen dinglichen Sicherungsrechten geht; insb im Hinblick auf unsere
Ausgangsfrage, warum nämlich der einfache Eigentumsvorbehalt keinerlei Publizitätsanforde-
rungen unterworfen sein soll, andere dingliche Sicherungsrechte hingegen schon.
Die Überzeugungskraft des Arguments einer Annäherung an das Zug-um-Zug-Prinzip relativiert
sich in der Tat erheblich, wenn man – worauf es für Publizitätsanforderungen im Vergleich mit
anderen dinglichen Sicherungsrechten wohl ankommen muss – die Sicherungsfunktion des Eigen-
tumsvorbehalts in den Vordergrund rückt und ihn dementsprechend nicht primär als verzögerten
Veräußerungsmechanismus, sondern eben als Sicherungsrecht begreift: Das vorbehaltene Eigen-
tum sichert eine Forderung. Die Haftung besteht, solange die Forderung offen ist, und endet mit
vollständiger Zahlung. Das unterscheidet sich in nichts von der Sicherung einer (beliebigen) Ver-
43 Näher etwa Koziol, QuHGZ 1970, 73; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 463 f.
44 Hier berĂĽhrt sich der hier auseinandergesetzte Gedanke mit dem unter II.A. diskutierten Argument des beim
Eigentumsvorbehalt gleichbleibenden Haftungsfonds.
45 Vgl Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts2 II/1: Das Recht der Schuldverhältnisse
(1928) 411 f; Gschnitzer, Schuldrecht BT 23 ff. Die Sachenrechtsbände dieser Standardwerke enthalten demgegen-
über keine systematische Erörterung des Eigentumsvorbehalts.
46 Prägend F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 449 ff; in jüngerer Zeit Aicher in Rummel3 § 1063 Rz 24–116; Binder/Spitzer in
Schwimann/Kodek4 § 1063 17–92; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 (2015) § 1063 Rz 9–44; Apathy
in Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), Kurzkommentar zum ABGB4 (2014) § 1063 Rz 4–16.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal