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ALJ 2/2015 Geschworenengerichte – unbegründete Sorge? 274
schrift der Geschworenen – und erntete dafür eine heftige Zurechtweisung durch das Höchstge-
richt: Das Tatgericht habe an Hand der Ergebnisse des Beweisverfahrens schlüssig und zureichend
zu begründen, weswegen es zur Überzeugung der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachen-
behauptung gekommen ist. Tritt es der sich daraus ergebenden Folgerung nicht bei, muss es sich
mit allen Verfahrensergebnissen auseinandersetzen und vor allem jene Umstände sorgfältig und
gewissenhaft angeben, auf die es seine entgegengesetzte Überzeugung gründet. Nun geht es
freilich nicht an, Äpfel mit Birnen zu vergleichen; ebenso wenig kann es aber angehen, innerhalb
einer Rechtsordnung mit zweierlei Maß zu messen.
III. Gewicht und Sanierbarkeit des Mangels
Es bleibt also dabei: Geschworenenurteile sind eben nicht begründet. Dass das ein Mangel ist,
liegt auf der Hand und wird auch im Schrifttum nicht ernsthaft bestritten. Zu fragen ist daher, wie
schwer dieser Mangel wiegt, ob er behebbar ist, und falls nicht, ob es überwiegende Vorteile der
Geschworenengerichte gibt, die im Rahmen einer Gesamtabwägung deren Beibehaltung wün-
schenswert oder zumindest vertretbar erscheinen lassen. Das Gewicht des Mangels lässt sich
bestimmen, indem man die in den eingangs erwähnten Entscheidungen bezeichneten Garantien
als Gegengewichte in Anschlag bringt. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob ein Geschwore-
nenurteil auch ohne Begründung ausreichend überprüfbar ist.
Der Erkenntnis folgend, dass – wie Moos20 es treffend ausdrückte – die ao Wiederaufnahme nach
Art des § 362 StPO „weniger einen Damm zum Schutz des Angeklagten vor Justizirrtümern als des
OGH vor dem Angeklagten bildet“ und der Verurteilte nicht länger auf das „Gnadengeschenk
höchstrichterlicher Fürsorge“ angewiesen sein soll, brachte das Strafrechtsänderungsgesetz 1987
auch den Nichtigkeitsgrund der Z 10a des § 345 Abs 1 StPO, mit dem der Grundsatz durchbrochen
werden sollte, dass die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Wahrspruches mit einer
Rechtsrüge nicht releviert werden kann. „Die Idee“ – so Moos weiter – „ist lobenswert, allein der
Wahrspruch entbehrt der Gründe.“ Das bedeutet, dass die Beweiswürdigung gar nicht nachvoll-
zogen werden kann, denn eine Kontrolle der Beweiswürdigung ohne Kenntnis dessen, was sich
die Richter (Geschworenen) auf Grund der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Haupt-
verhandlung gedacht haben, ist schlecht möglich. Indessen gibt es aber eine kurze Niederschrift
des Obmanns der Geschworenen, in der die Erwägungen der Geschworenen zur Beantwortung
jeder Frage anzugeben sind (§ 331 Abs 3 StPO). So, wie diese Niederschrift Anhaltspunkte für ein
Moniturverfahren (§ 332 StPO) oder die Aussetzung der Entscheidung (§ 334 StPO) bieten soll, so
könnte sie als Teil der Akten auch wenigstens Anhaltspunkte für die Beweiswürdigung liefern.
Diesem vernünftigen Argument folgte der OGH nicht und erkannte vielmehr,21 dass die Nieder-
schrift der Geschworenen nicht zu deren Wahrspruch gehört und daher überhaupt nicht An-
knüpfungspunkt einer Tatsachenrüge sein kann. Da sie eine kurze Begründung für die Beweis-
würdigung darstelle, könne sie nicht gleichzeitig deren Gegenstand bilden. Obwohl sie dem
Hauptverhandlungsprotokoll anzuschließen ist (§ 332 Abs 6 StPO) und solcherart zu „den Akten“
gehört22, kann eine Tatsachenrüge (Z 10a) darauf nicht gegründet werden. In jüngerer Zeit statuiert
20 Moos, Die Ausdehnung der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Beweiswürdigung nach § 281 Abs 1 Z 5a (TEIL I),
ÖJZ 1989, 97 (99).
21 RIS-Justiz RS0115549.
22 OGH 13 Os 36/01 JUS St/3095 = JBl 2002, 129 = JUS St/3108.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2015
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2015
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 100
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal