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Austrian Law Journal, Volume 2/2016
Page - 119 -
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Page - 119 - in Austrian Law Journal, Volume 2/2016

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ALJ 2/2016 Allgemeine Handlungsfreiheit im System der österreichischen Bundesverfassung 119 Einzelne nicht abstreifen könne oder die abzustreifen ihr nicht zumutbar sei.93 Ich möchte an dieser Stelle weiter gehen und vorbringen, dass der Gleichheitssatz mit der Rechtsprechung ne- ben diesem Schutz des So-Seins einen allgemeinen Schutz des Da-Seins der Einzelnen birgt,94 der sie in ihrer gesamthaften IndividualitĂ€t umfasst und damit dem Staat die Rechtfertigungslast auferlegt, sollte er die Entfaltung dieser IndividualitĂ€t, sollte er das Leben des Da-Seins beschrĂ€n- ken: Denn ebenso wie die Dogmatik des Gleichheitssatzes das Individuum nicht als bloßes Datum ansetzt, hat sie auch IndividualitĂ€t nicht als bloßes Datum anzusetzen. Das etwa kommt zum Ausdruck, wenn der VfGH in einem Erkenntnis aus 2012 absolute Bettelverbote (Stichwort: „Akkreszenz“) zwar auch als mit der Meinungsfreiheit unvereinbar erachtet,95 grundlegend aber festhĂ€lt, „[e]in ausnahmsloses Verbot, als ‚stiller‘ Bettler den öffentlichen Ort zu nutzen, grenz[e] ohne sachliche Rechtfertigung bestimmte Menschen davon aus, öffentliche Orte wie andere zu ihrem selbstgewĂ€hlten Zweck zu nutzen und verst[oße] daher gegen den Gleichheitsgrundsatz.“96 Die so betonte EgalitĂ€t der Zwecksetzung als Gleichberechtigung im Lebensentwurf wĂŒrdigt das Individuum in seiner Uneigentlichkeit,97 in (und ob) der PotentialitĂ€t, aus der heraus es sich ent- werfen kann.98 Sie setzt Freiheit „to choose, and not to be chosen for“ als Zweck an sich, als „inalienable ingredient in what makes human beings human“99 und begreift die Einzelne konse- quent nicht nur als gleich in der Freiheit,100 sondern auch und insb als frei in der Gleichheit.101 VI. Allgemeine Handlungsfreiheit als Gleichberechtigung im Lebensentwurf Mit „Supplierung“ hat das freilich wenig zu tun, weil der Sache nach gar nichts vertreten wird. Vielmehr ĂŒbersetzt die so skizzierte „EgalitĂ€tsthese“,102 dem Anspruch der Gesetzgebung gegen- ĂŒber das, was im Sinne der Subtraktions- und LegalitĂ€tsthese mit Hilfe des Gleichheitssatzes der Vollziehung gegenĂŒber katalysiert wird: Sie hindert, wie es bereits Michael Holoubek betont hat,103 die WillkĂŒr des Gesetzgebers zulasten der Entfaltungsfreiheit der Einzelnen,104 gerade wenn diese trotz Addition und Akkreszenz nicht durch eine distinkte FreiheitssphĂ€re abgesichert ist.105 93 Pöschl, Gleichheit insb 458 ff. 94 Heidegger, Sein und Zeit19 (Nachdruck 2006) §§ 9–13. 95 Dazu bereits Bezemek, Einen Schilling zum Telefonieren ... Bettelverbote im Lichte freier MeinungsĂ€ußerung, JRP 2011, 279. 96 VfSlg 19.662/2012; nĂ€her dazu insb VaĆĄek, Verwaltungsrechtliche Bettelverbote – grundrechtliche Fragen: Anmer- kungen zu VfGH G 155/10 und G 132/11 vom 30. Juni 2012, ZfV 2013, 21 (24 f). 97 Heidegger, Sein19 § 27. 98 In diese Richtung bereits Holoubek/Bezemek, Die Grundrechte, in Studiengesellschaft fĂŒr Wirtschaft und Recht (Hrsg), Selbstverantwortung versus SolidaritĂ€t im Wirtschaftsrecht (2014) 61 (70). 99 Berlin, Essays LX; vgl insb auch Raz, The Morality of Freedom (1986) 190. 100 Vgl nur Pöschl, Gleichheit 584 mwN. 101 Insoweit ist „die Gleichheit“, wie es Somek, RationalitĂ€t und Diskriminierung (2001) betont hat auch und insb „das Freiheitsrecht der sozial Schwachen“. Diesen Anspruch in Ansehung des staatsbĂŒrgerrechtlichen Charakters des Gleichheitssatzes zu diminuieren, ist mit dem Sachlichkeitspostulat des Gleichheitssatzes nicht in Einklang zu bringen – Holoubek, GewĂ€hrleistungspflichten 366. 102 Dazu insb Holoubek, in Korinek/Holoubek ea (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 7 B-VG Rz 56 ff (in Druck). 103 Holoubek, GewĂ€hrleistungspflichten 367. 104 Vgl dazu insb auch Kirchhof in FS Geiger 101 ff. 105 Dass der so verstandene gleichheitsrechtliche Schutz ein gewisses TrĂ€gheitsmoment bedingt, insofern „auch ein StĂŒck status quo-Sicherung in den freiheitlichen Gesamtzustand“ getragen wird (Alexy, Theorie 346), steht dabei mit der Rechtsprechung des VfGH zum fehlenden Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand der geltenden Rechtslage, die ja betont, es könne „keine Rede davon sein, daß jede VerĂ€nderung, insbesondere auch Ver- schlechterung einer Rechtslage, auf welche Normadressaten vertrauen, alleine deshalb schon [!] gleichheitswid- rig wĂ€re“ jedenfalls nicht in Widerspruch.
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Austrian Law Journal Volume 2/2016
Title
Austrian Law Journal
Volume
2/2016
Author
Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
Editor
Brigitta Lurger
Elisabeth Staudegger
Stefan Storr
Location
Graz
Date
2016
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
19.1 x 27.5 cm
Pages
40
Keywords
Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
Categories
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