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ALJ 2/2017 Datenschutz in den sozialen Medien 97
B. Stillschweigend hat sich auch die Rsp vom Subsidiaritätsdogma verabschiedet.
1. In der Entscheidung www.spickmich.de stellt zwar der BGH den Löschungsanspruch nach
§ 35 dBDSG in den Mittelpunkt.14 Letztendlich mündet die Überprüfung in der aus dem klassi-
schen Persönlichkeitsrecht bekannten Abwägung zwischen Art 1, 2 dGG auf der einen und Art 5
dGG auf der anderen Seite.15 Dabei geht es um die betroffene Sphäre,16 um die Abgrenzung zwi-
schen der Meinungsäußerung und der Tatsachenbehauptung17 und schließlich um das Vorliegen
einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik,18 also um Kategorien die beim allgemeinen Persön-
lichkeitsrecht die zentrale Rolle spielen. Auch in der Entscheidung „Ärzte-Portal II“ beginnt die
Prüfung mit § 35 dBDSG19 und § 29 dBDSG,20 wendet sich dann aber sehr schnell der Untersu-
chung anhand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu.21 Demgemäß ist § 29 Abs 2 Satz 1
dBDSG verfassungskonform dahin gehend auszulegen, dass die Zulässigkeit der Übermittlung
der Daten an den abfragenden Nutzer aufgrund einer Gesamtabwägung zwischen dem Persön-
lichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse des anderen Teils beurteilt wer-
den muss.22 Dabei soll es sogar einer einzelfallbezogenen Darlegung des berechtigten Interesses
nicht bedürfen.23 In der Entscheidung „Ärzte-Portal III“ beschränkt sich der BGH nunmehr aber
auf die Prüfung, ob das Persönlichkeitsrecht des kritisierten Arztes verletzt sei,24 ohne das dBDSG
noch zu erwähnen.
2. Auch das BAG (Bundesarbeitsgericht) räumt der grundrechtlichen Prüfung den Vorrang ein.
Ob die §§ 6b, 32 dBDSG die Verwertung einer heimlichen Videoaufzeichnung zur Stützung der
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses erlaubten, könne offenbleiben. Denn jedenfalls ergebe sich
das Verwertungsverbot aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, soweit
nicht überwiegende Beweisinteressen des Arbeitgebers eingriffen.25 Sei die Verwertung dagegen
zulässig, stehe auch das Kennzeichnungsgebot des § 6b Abs 2 dBDSG nicht entgegen;26 die Form
sei verfassungskonform zu interpretieren.27 Das umgekehrte Verständnis begegnete im Hinblick
auf die durch Art 12 Abs 1 und Art 14 Abs 1 dGG gesicherten Interessen des Arbeitgebers verfas-
sungsrechtlichen Bedenken.28
C. Damit stellt sich das Verhältnis zwischen dem dBDSG und dem Persönlichkeitsrecht nach
den üblichen Regeln dar. Der Schutz des dBDSG ist nicht abschließend. Insbesondere kann auch
jeweils des § 7 Abs 1 Satz 1 dBDSG und § 8 Abs 2 dBDSG eine Entschädigung wegen immaterieller
Beeinträchtigung geschuldet sein, ohne dass es darauf ankommt, ob und inwieweit die Normen
14 BGH VI ZR 196/08 BGHZ 181, 328 (333) Rz 16 ff.
15 BGH VI ZR 196/08 BGHZ 181, 328 (338 ff) Rz 29 ff.
16 BGH VI ZR 196/08 BGHZ 181, 328 (338 f) Rz 30.
17 BGH VI ZR 196/08 BGHZ 181, 328 (339 f) Rz 33.
18 BGH VI ZR 196/08 BGHZ 181, 328 (340) Rz 34.
19 BGH VI ZR 358/13 BGHZ 202, 242 (245 f) Rz 11 ff.
20 BGH VI ZR 358/13 BGHZ 202, 242 (246 ff) Rz 14 ff.
21 BGH VI ZR 358/13 BGHZ 202, 242 (250 ff) Rz 25 ff.
22 BGH VI ZR 358/13 BGHZ 202, 242 (258) Rz 45.
23 BGH VI ZR 358/13 BGHZ 202, 242 (258) Rz 45.
24 BGH VI ZR 34/15 BGHZ 209, 139 (145) Rz 15 ff.
25 BAG 2 AZR 797/11 BAGE 146, 303 (315) Rz 42.
26 BAG 2 AZR 797/11 BAGE 146, 303 (319) Rz 51; BAG 2 AZR 848/15 NJW 2017, 843 (846) Rz 38.
27 BAG 2 AZR 153711 BAGE 142, 176, 187 Rz 41.
28 BAG 2 AZR 797/11 BAGE 146, 303 (319) Rz 51.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2017
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 108
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal