Page - 128 - in Austrian Law Journal, Volume 2/2017
Image of the Page - 128 -
Text of the Page - 128 -
ALJ 2/2017 Gregor Kirchhof 128
Steuerpflichtigen das ĂĽberkomplizierte Steuerrecht21 in einem zum Scheitern verurteilten Ver-
such anwenden lassen, um mit technischer Hilfe die Anwendung sodann wie ein Beckmesser zu
korrigieren – und dies unter der Drohung des Steuerstrafrechts.22
Vielmehr spielt der Rechtsstaat nach seinem Selbstverständnis mit offenen Karten. Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung, das rechtliche Gehör und auch der Gedanke einer Wissens-
und Waffengleichheit fordern generell, den Steuerpflichtigen umfassend ĂĽber die ihn betreffen-
den Daten zu informieren. Dann aber ist der Schritt zu der vom Fiskus vorausgefĂĽllten Steuerer-
klärung nicht mehr weit – und auch hier bietet Österreich ein positives Beispiel. Steuererklärun-
gen, die in Teilen von der Finanzverwaltung ausgefüllt werden, kennen zahlreiche Länder – auch
Deutschland. In vielen Staaten ist die Steuererklärung aber im Regelfall vollständig vorausgefüllt.23
Auch die vorausgefĂĽllten Daten sind vom Steuerpflichtigen zu prĂĽfen.24 Die Steuerpflichtigen
können, wenn sich nichts geändert hat, die Erklärung dann aber mit einem einfachen Placet ab-
geben. In Schweden reicht hierfür eine Kurzmitteilung (SMS), in Dänemark gilt das Schweigen
nach einem Zeitablauf als Abgabe der Erklärung.25 Die Erfolgsquote ist in den meisten Ländern
bemerkenswert. Zum Teil werden über 70 % der Erklärungen nicht mehr korrigiert.26 Verschiedene
europäische Staaten haben sich für die idR vollständig vorausgefüllte Steuererklärung entschie-
den – Deutschland jedoch nicht.27
Soweit das Steuergeheimnis und der Kontrollauftrag des Fiskus dies erlauben, sollten die voraus-
gefüllten Steuererklärungen durch die überlegenen Informationen der Finanzverwaltung präzi-
siert und dem Steuerpflichtigen die Daten in diesen Erklärungen offengelegt werden. Die Erfolgs-
quote der Erklärungen würde erheblich gesteigert. Die Quote ließe sich durch eine Vereinfachung
des Steuerrechts weiter erhöhen. Die Rechner der Finanzverwaltung würden ihre beträchtlichen
Fähigkeiten nicht nur wie jetzt zur Entlastung der Finanzverwaltung, sondern auch für den Steu-
erpflichtigen einsetzen. Der Fiskus würde auffällige Punkte in jeder Steuererklärung markieren,
die die Steuerlast erhöhen, aber eben auch senken könnten. Der Steuerpflichtige wäre umfas-
send informiert und steuerlich unterstĂĽtzt. Das elementare Bewusstsein, dass jeder gleichheits-
gerecht zur Besteuerung herangezogen wird, würde gestärkt, die Akzeptanz für die Steuerlast
wahrscheinlich deutlich verbessert. Fehler würden auch in ihren möglichen steuerstrafrechtli-
chen Folgen verhindert. Zwar wird es immer Ausnahmefälle geben. Das Ziel aber ist, das Ein-
kommensteuerrecht so zu vereinfachen, dass es idR auf Grundlage einer vorausgefĂĽllten Steuer-
erklärung automatisch angewandt werden kann. Dieses Ziel liegt nicht so fern, wie man meinen
könnte.
21 Siehe FN 14 mwN.
22 Siehe unter Kap IV.
23 So etwa in Spanien, Dänemark, Schweden und den Niederlanden; siehe hierzu Deloitte, Comparative study of the
personal tax return process3 (2015) 7.
24 Eichhorn, Zum „Berechtigungsmanagement“ für die „vorausgefüllte Steuererklärung“, DStR 2013, 2722 (2723);
Vinken, Vollmachtsdatenbank und vorausgefüllte Steuererklärung, DStR 2012, 1205 (1207).
25 Herrmann, Steuererklärung per SMS, SZ Nr 168 v 23. 7. 2013, 18; Rothbächer, Vorausgefüllte Steuererklärung:
Potential fĂĽr ein Erfolgsmodell, Legal Tribune Online, 14. 12. 2010, http://www.lto.de/persistent/a_id/2128/ (ab-
gefragt am 21. 7. 2017).
26 Rothbächer, Vorausgefüllte Steuererklärung: Potential für ein Erfolgsmodell, Legal Tribune Online, 14. 12. 2010,
http://www.lto.de/persistent/a_id/2128/ (abgefragt am 21. 7. 2017); Eichhorn, DStR 2013, 2723.
27 Deloitte, Comparative study3 6 f, wenngleich weitere Staaten zu nennen wären und die Abgrenzung einer in
Teilen von einer überwiegend und auch einer vollständig vorausgefüllten Steuererklärung nicht einfach ist; siehe
insgesamt auch Rothbächer, Vorausgefüllte Steuererklärung: Potential für ein Erfolgsmodell, Legal Tribune Online,
14. 12. 2010, http://www.lto.de/persistent/a_id/2128/ (abgefragt am 21. 7. 2017).
back to the
book Austrian Law Journal, Volume 2/2017"
Austrian Law Journal
Volume 2/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2017
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 108
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal