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ALJ 2/2017 Der digitalisierte Steuerzahler 133
Selbst wenn die hier benannten Mitwirkungspflichten, Lenkungswirkungen, steuerstrafrechtli-
chen Vorgaben und datenrechtlichen Lasten isoliert betrachtet noch zumutbar wären, verletzt die
Kumulation aller Lasten das verfassungsrechtliche Maß.55 Das Steuerrecht will die öffentliche
Hand durch eine angemessen Teilhabe an der Finanzkraft der Steuerpflichtigen finanzieren. Die-
ser Auftrag rechtfertigt die Massenbelastung aller Steuerpflichtigen, diese Lastenkumulation in
Breite und Tiefe nicht.
V. Modernes Steuerrecht
Die Steuerpflichtigen erwarten vom Steuerrecht gegenwärtig vor allem eines: Rechtssicherheit –
im Verfahren und in der Steuerlast. Im nationalen Recht fordern insb die Verschärfung des Steu-
erstrafrechts und die beschlossene automatisierte Steuererhebung klarere Steuernormen.56 Ein
Strich des Gesetzesgebers – um das berühmte Zitat Julius von Kirchmann57 abzuändern – und
ganze Steuer- und Compliance-Abteilungen mĂĽssen neu gegrĂĽndet werden. Aktuell sind auf in-
ternationaler Ebene deutsche Unternehmen an ĂĽber 1.000 steuerlichen Streitbeilegungsverfah-
ren mit offenem Ausgang beteiligt. Wenn im Schnitt in jedem Verfahren um einen zweistelligen
Millionenbetrag gerungen wird, besteht eine Planungsunsicherheit in Höhe eines zweistelligen
Milliardenbetrages.58 Ein allgemeines Steuergesetz ist auf internationaler, aber auch auf nationaler
Ebene ein nachhaltiges Konjunkturprogramm59.
Gegen ein reines System der Soll-Ertragsbesteuerung spricht das Leistungsfähigkeitsprinzip. Die
steuerliche Leistungsfähigkeit ist nach dem tatsächlichen Ertrag zu ermitteln und nicht grob nach
äußeren Kriterien zu schätzen. Doch könnte die notwendige Vereinfachung des Steuerrechts
gelingen, wenn der Ausgangspunkt der Ist-Ertragsbesteuerung vermehrt durch Elemente der
Soll-Ertragsbesteuerung konkretisiert und dabei die bestehende Mischung zum System gemacht
wird. Denn die drei historischen GrĂĽnde, auf Grund derer sich die Soll-Ertragsbesteuerung bis
weit in das 19. Jahrhundert in Deutschland behauptete, sind heute hoch aktuell.60 Die Soll-
Ertragsteuer war – erstens – einfach anzuwenden, man hätte sie vollständig automatisiert erhe-
ben können.61 Zweitens wurden die Daten der Steuerpflichtigen geschützt, weil der Fiskus nicht
nachforschen musste – er schaute auf die äußeren Kriterien.62 Das einfache Steuerrecht vermied
drittens Steuerhinterziehungen.63
55 Siehe zum grundrechtlichen Problem der „kumulativen Belastung“ und der „grundrechtlichen Breitenwirkung“
G. Kirchhof, ErfĂĽllungspflichten 135 ff, 195 ff; G. Kirchhof, Grundrechte und Wirklichkeit (2007) 27 ff; G. Kirchhof,
Kumulative Belastung durch unterschiedliche staatliche MaĂźnahmen, NJW 2006, 732 ff; zusammenfassend hin-
sichtlich der kumulativen Belastung: Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsausgestaltung und
Grundrechtseingriff, Handbuch des Staatsrechts IX3 (2011) § 200 Rz 97 ff mwN.
56 Siehe unter Kap II. und IV.
57 Von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1969) 25.
58 Siehe für die Anzahl der Fälle und für Richtwerte über die allerdings schwer zu schätzende wirtschaftliche Bedeu-
tung der Verfahren Greil/Rasch, Dispute resolution procedures in international tax matters – Germany, in Interna-
tional Fiscal Association (Hrsg), Cahiers de droit fiscal international, 101 a (2016) 263 (274 f); Rasch/Mank in Krop-
pen/Rasch (Hrsg), Handbuch Internationale Verrechnungspreise (23. Lfg Nov 2016) OECD-Kap IV, Anm 7; FlĂĽchter,
Seminar C: Verständigungsverfahren und die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten, IStR (2012) 694
(700), nennt exemplarisch Streitwerte von rund 200 und 700 Mio Euro.
59 Deutlich Seer, Diskussion, DStJG 39 (2016) 88: „Die beste Wirtschaftsförderung ist nach wie vor ein neutrales Steuer-
recht.“
60 Siehe insgesamt unter Kap III.
61 Siehe zu diesem aktuellen Anliegen unter Kap II.
62 Siehe zum Anliegen des Datenschutzes unter Kap IV.
63 Siehe insgesamt zu den GrĂĽnden unter Kap III.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2017
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 108
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal