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ALJ 2/2017 Iris Eisenberger 141
durch andere Systeme wahrgenommen werden.4 Die idR verfassungsrechtlich etablierte Kontrolle
von Macht und die Vorbeugung von Machtmissbrauch5 laufen damit zunehmend ins Leere.6
Neue „Eliten“, wie beispielsweise Software-EntwicklerInnen, etablieren mit ihren technologischen
Innovationen gesellschaftliche Ordnungssysteme,7 in denen sich regelmäßig die Werthaltungen
der Programmierer widerspiegeln8 und nicht die eines im demokratischen System errungenen
gesellschaftlichen Konsenses. Dieser Beitrag zeichnet daher zunächst die Digitalisierung als eine
recht(swissenschaft)liche Verlustgeschichte nach (II.), in weiterer Folge zeigt er anhand der Block-
chain-Technologie, dass Digitalisierung auch neue Formen und Räume der Selbstbestimmung
ermöglicht (III.), bevor er erörtert, ob digitalisierte, distribuierte Systeme von rechtlicher zu tech-
nologischer Steuerung führen (IV.) und vor welche Herausforderungen dieser Wandel demokrati-
sche Rechtssysteme stellt (V.) sowie schließlich, was daraus folgt (VI.).
II. Digitalisierung: Eine recht(swissenschaft)liche Verlustgeschichte
der Selbstbestimmung
Die Frage, wie sich die Digitalisierung auf die Selbstbestimmung auswirkt, lässt sich leicht als
recht(swissenschaft)liche Verlustgeschichte der Selbstbestimmung erzählen. Bereits Ende der
1960er Jahre steht im Mikrozensusbeschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts9 zu le-
sen, dass es mit der Menschenwürde unvereinbar wäre, wenn der Staat Menschen zwangsweise
gesamthaft registriert und katalogisiert und er sie in seiner Bestandsaufnahme wie Sachen be-
handelt;10 daran würde auch eine anonym durchgeführte statistische Erhebung nichts ändern.
Zugleich betonte das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass „[n]icht jede statistische Erhebung
über Persönlichkeits- und Lebensdaten […] die menschliche Persönlichkeit in ihrer Würde [verletzt] oder
[…] ihr Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbereich [berührt],“11 weshalb es die im Gesetz
über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens
(Mikrozensus) vom 16. 3. 195712 angeordnete Repräsentativbefragung zum Tatbestand „Urlaubs-
und Erholungsreisen“ als mit den Grundgesetz vereinbar erklärte.
4 Vgl Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Zechner, Bitcoin-Miner als Prosumer: Eine Frage staatlicher Regulierung? Dar-
gestellt am Beispiel des Glücksspielrechts, ALJ 2017 (in Endredaktion); I. Eisenberger, Innovation im Recht (2016)
152 ff; Gruber/I. Eisenberger, Wenn Fahrzeuge selbst lernen: Verkehrstechnische und rechtliche Herausforderun-
gen durch Deep Learning? in I. Eisenberger/Lachmayer/G. Eisenberger (Hrsg), Autonomes Fahren und Recht (2017)
51; Narayanan/Bonneau/Felten/Miller/Goldfeder, Bitcoin and Cryptocurrency Technologies (2016) 282 f; D. Tapscott/
A. Tapscott, Blockchain Revolution (2016) 271 ff.
5 Siehe Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht IV (2009) 10.
6 Siehe I. Eisenberger, Innovation 160.
7 Siehe Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Zechner, ALJ 2017 (in Endredaktion); Gruber/I. Eisenberger in I. Eisenberger/
Lachmayer/G. Eisenberger 51.
8 Siehe Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Zechner, ALJ 3/2017 (in Endredaktion).
9 BVerfGE 27, 1 ff.
10 „Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen (vgl BVerfGE 5, 85
[204]; 7, 198 [205])“ BVerfGE 27, 1 (4). Demgegenüber werden „Maschinen“ heute zunehmend wie Menschen be-
handelt; siehe Beck, Über Sinn und Unsinn von Statusfragen – zu Vor- und Nachteilen der Einführung einer elekt-
ronischen Person, in Günther/Hilgendorf (Hrsg), Roboter und Gesetzgebung (2013) 239; Calo, Robotics and the
Lessons of Cyberlaw, Californian Law Review 2015, 513; Hubbard, “Do Androids Dream?“ Personhood and Artifi-
cial Artefacts, Temple Law Review 2010, 405; Kersten, Relative Rechtssubjektivität – Über autonome Automaten
und emergente Schwärme, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2017, 8; Müller-Hengstenberg/Kirn, Intelligente (Soft-
ware-)Agenten: Eine neue Herausforderung unseres Rechtssystems? MMR 2014, 307; Schirmer, Rechtsfähige Ro-
boter? JZ 2016, 660; Solum, Legal Personhood for Artificial Intelligence, North Carolina Law Review 1992, 1231;
Teubner, The Rights of Non-Humans: Electronic Agents and Animals as New Actors in Politics and Law, Journal of
Law and Society 2006, 497.
11 BVerfGE 27, 1 (4).
12 dBGBl 1957/213.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2017
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2017
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 108
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal