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ALJ 2018 Lando Kirchmair 69
Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts zu verhindern, mietete das Bundesministerium
für Inneres das Haus für einen beträchtlichen Mietzins. Seit 2011 steht das Haus leer. Bis zum
Bundesgesetz über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr. 15, Braunau am Inn
(EnteignungsG); verkündet am 13. 1. 2017:11
„§ 1. Zur dauerhaften Unterbindung der Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialisti-
schen Gedankenguts oder eines bejahenden Gedenkens an den Nationalsozialismus nimmt der
Bund das Eigentum lastenfrei an der Liegenschaft EZ 217 KG 40005 Braunau am Inn in An-
spruch.“
Diese Enteignung wurde mit Beschluss vom 16. 2. 2017 des Bezirksgerichts Braunau vollzogen,
indem es die Vormerkung des Eigentumsrechts der Republik bewilligte. Eben diesen Beschluss
bekämpfte die vormalige Eigentümerin mit Rekurs und stellte einen Parteienantrag auf Normen-
kontrolle beim VfGH.12 Mit 30. 6. 2017 verkündete der VfGH seine Entscheidung VfSlg
20.186/2017 und bestätigte das EnteignungsG als verfassungskonform.
B. Die Verfassungsrechtliche Beurteilung der Legalenteignung
1. Entziehung (und Ãœbertragung) des Eigentums
Art 5 Staatsgrundgesetz (StGG) normiert, dass das Eigentum unverletzlich ist. Dementspre-
chend kann „[e]ine Enteignung gegen den Willen des Eigenthümers [...] nur in den Fällen und in der
Art eintreten, welche das Gesetz bestimmt.“13 Enteignet wird eine Person, nach ständiger Recht-
sprechung des VfGH, „wenn eine Sache […] unmittelbar kraft Gesetzes dem Eigentümer zwangswei-
se entzogen und auf den Staat […] übertragen wird.“14 Diesbezüglich ist der hier diskutierte Vor-
gang nahezu ein Paradebeispiel einer Enteignung. Die Liegenschaft Salzburger Vorstadt 15
samt dem darauf befindlichen Haus wurde der vormaligen Eigentümerin Frau P. kraft Gesetzes
zwangsweise entzogen.
11 BGBl I 2017/4.
12 Dieser wurde gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit d vom VfGH im Verfahren VfSlg 20.186/2017 betreffend § 1, § 3 Abs 3 und
§ 5 des EnteignungsG als zulässig erachtet (siehe Rz 18). Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der auf
Art 140 Abs 1 Z i lit c gestützte Antrag das EnteignungsG für verfassungswidrig zu erklären vom VfGH mit Be-
schluss vom 14. 6. 2017, G 16/2017 zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten im Rechtsschutz aufgrund des be-
reits anhängigen Verfahren entschieden am 30. 6. 2017, VfSlg 20.186/2017 als unzulässig zurückgewiesen wurde
(Rz 12 bzw 16). Vgl allg dazu Kneihs/Schäffer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfas-
sungsrecht IV (18. Lfg 2017) Art 140 B-VG Rz 55–64, insb Rz 57 (mwN in FN 312 und 313).
13 Vgl Korinek, in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (5. Lfg. 2002) Art 5 StGG Rz 5–16
zur Vorgeschichte und Entwicklung von Art 5 StGG.
14 VfSlg 2934/1955; 9911/1983; 11.209/1987. Eine Enteignung per Verwaltungsakt, welche auch in dieser Definition
enthalten ist, wird hier als nicht einschlägig außen vorgelassen. Für Stimmen im Schrifttum welche Legalenteig-
nungen, also dem hier einschlägigen Fall der Enteignung per Gesetz, für unzulässig erachten, siehe Korinek in
Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rz 29, FN 133 mwN. Dies wurde tatsächlich von der Beschwerdeführerin auch
gerügt (siehe VfSlg 20.186/2017 Rz 5), allerdings vom VfGH (Rz 22) unter Verweis auf „ständige[] Rechtsprechung
beginnend mit der Entscheidung VfSlg. 3118/1956“ zurückgewiesen, weil kein Missbrauch der Gesetzesform gegen-
ständlich erkennbar ist, ua weil das „Geburtshaus Adolf Hitlers […] gegenüber anderen historisch belasteten Objekten
‚besonderes Identifikations-potential‘ mit sich bringe“ (Rz 22) und der VfGH im Normprüfungsverfahren ein Gericht
mit voller Kognitionsbefugnis ist (Rz 23). Sowie VfGH (Rz 27): „Eigentumseingriffe in Gestalt von Enteignungen sind
nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 3666/1959) auch durch Gesetz (vgl VfSlg 9911/1983)
zulässig“. Vgl dazu ebenso Feil, Enteignung und Enteignungsentschädigung: System und Praxiskommentar (2011)
13 mwN. Sowie Wiederin, Die Unverletzlichkeit des Eigentums: Metamorphosen einer verfassungsgesetzlichen
Gewährleistung, in FS Rill (2010) 273–300.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal