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ALJ 2018 Das „Geburtshaus Hitlers“ in Braunau am Inn 78
fentlichen Interesse ist, zu erfüllen.58 Der Zweck der Enteignung ist zentral und wird streng ge-
prüft. Denn wenn der Zweck der Enteignung entweder (1) zu weit in der Zukunft liegt und dem-
entsprechend auf Vorrat enteignet wird59 oder (2) bereits zu lange nicht verwirklicht wurde, ist
die Enteignung entweder (1) unzulässig oder (2) muss rückübereignet werden.60 Beides sorgt im
gegenständlichen Fall für Unsicherheit. Gerade weil das verfolgte öffentliche Interesse an dem
Haus bzw die Verhinderung des Missbrauchs – wie ausgeführt – schwierig zu fassen ist. Um die
Deutungshoheit über das Haus zu erlangen und an das Haus von dem „Adolf Hitler Geburtshaus“
bspw in einen Ort des Gedenkens, der kritischen Reflexion oder einer anderweitigen positiven
Nutzung zu transformieren, wird man die grundsätzliche Eignung des Objektes und die damit eng
verbundene Eigentümerschaft bejahen können – wenn auch für eben diese Beurteilung aufgrund
der damit zusammenhängenden Unsicherheiten ein recht großer Ermessensspielraum notwen-
dig ist. Denn an die Wahrnehmung des Hauses ist sodann die Vermutung angeknüpft, dass der
Staat der einzig richtige Eigentümer ist, welcher die negative Symbolik und die damit zusammen-
hängende missbräuchliche Verwendung verhindern bzw ihr entgegentreten kann. Fraglich bleibt
allerdings, weshalb bspw das Dokumentationsarchiv des Widerstandes oder ähnliche Einrichtun-
gen dies nicht ebenso garantieren können sollten. Die Dokumentation Obersalzberg wird zB vom
Institut für Zeitgeschichte München geleitet.
Ein Vergleich mit dem Grab des „Hitler-Stellvertreters“ Rudolf Heß im oberfränkischen Wunsiedel
zeigt, wie schwierig der Umgang mit symbolischen Orten für Anhänger nationalsozialistischen
Gedankengutes ist. Das Grab von Rudolf Heß, der am 17. 8. 1987 im Berliner Kriegsverbrecherge-
fängnis Spandau Suizid begangen hatte, war seitdem Pilgerstätte von Neonazis, welche dort jähr-
lich einen „Rudolf Heß Gedenkmarsch“ abhielten. Per 5. 10. 2011 kündigte der Kirchenvorstand
des evangelischen Friedhofs den Pachtvertrag des Grabes.61 Obwohl Verwandte von Heß an die
Möglichkeit einer Klage gedacht haben, ließen sie nach einem informellen Treffen mit dem Kirchen-
vorstand doch davon ab.62
Mit der Auflösung des Grabes allein konnte der Symbolik des Ortes für Neonazis allerdings noch
nicht vollkommen beigekommen werden. Obwohl die Auflösung des Grabes, begleitet von einem
Veranstaltungsverbot, zumindest zu einer starken Dezimierung des Marsches führte,63 zeigt die
abgehaltene Kundgebung von Rechtsextremen im Jahr 2012 und weiteren Folgejahren die
Schwierigkeit symbolträchtigen Orten ihre Symbolwirkung zu nehmen.64 Kreative Gegenwehr, wie
bspw durch den „unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“ scheint notwendig, um den Zweck,
58 VfSlg 20.186/2017 Rz 27; VfSlg 3666/1959; 8981/1980; Korinek in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer 645.
59 Eben eine verfassungsrechtlich unerlaubte Enteignung auf Vorrat wurde von der Beschwerdeführerin gerügt.
Siehe dazu VfSlg 20.186/2017 Rz 5.
60 Zur verfassungswidrigen Enteignung auf Vorrat siehe Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rz 35–36. Für
die Verpflichtung zur Rückübereignung bei Nichtverwirklichung des öffentlichen Zwecks, siehe VfSlg 8981/1980;
vgl dazu ebenso Korinek, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Eigentumsschutzes und des Enteignungsrechts
in Österreich, in Korinek/Pauger/Rummel (Hrsg), Handbuch des Enteignungsrechts (1994) 1 (23–25), mwN VfSlg
20.186/2017 Rz 5.
61 Vgl dazu Holzhaider, Grab von Rudolf Heß existiert nicht mehr, Sueddeutsche.de vom 21. 7. 2011, abrufbar unter
http://www.sueddeutsche.de/politik/wunsiedel-ende-einer-nazi-pilgerstaette-grab-von-rudolf-hess-existiert-
nicht-mehr-1.1122689.
62 Siehe ibid.
63 Vgl Polizei unterbindet Nazi-Infostand, Frankenpost vom 14. 8. 2011, abrufbar unter https://www.franken-
post.de/region/wunsiedel/Polizei-unterbindet-Nazi-Infostand;art2460,1722575.
64 Siehe dafür Hartl, Wunsiedel: Eine ganze Stadt wehrt sich gegen Neonazi-Aufmarsch, ZeitOnline, vom 14. 11.
2012, abrufbar unter http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/11/14/wunsiedel-eine-ganze-stadt-wehrt-sich-
gegen-neonazi-aufmarsch_10509.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal