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Austrian Law Journal, Volume 2/2018
Page - 83 -
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Page - 83 - in Austrian Law Journal, Volume 2/2018

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ALJ 2018 Lando Kirchmair 83 nen betreffen dürfen.89 Das heißt, auch im Rahmen der EMRK sind Legalenteignungen nicht per se ausgeschlossen. Darüber hinaus gewährt der EGMR bei der Beurteilung, inwieweit eine nationale Maßnahme Konventionsrechte mit Gesetzesvorbehalt verletzen kann, ganz grundsätzlich den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum.90 Bezüglich des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die Beurtei- lung von Eingriffen in die Eigentumsfreiheit gem Art 1 1. ZP zur EMRK halten sich die Straßburger Richter im Speziellen zurück und gestehen den Mitgliedstaaten eine bessere Einschätzung des- selben zu. In diesen weiten nationalen Ermessensspielraum wird folglich nur bei offensichtlich unvernünftiger Begründung eingegriffen.91 Im Hinblick auf die Möglichkeit, dass sich die Be- schwerdeführerin nach der für sie negativen Entscheidung des VfGH an den EGMR wenden könn- te,92 hat der VfGH vorsorglich ein rezentes Urteil des EGMR zitiert.93 In Perincek v. CH hatte der EGMR zu beurteilen, ob die öffentliche Leugnung des armenischen Holocaust von Herrn Doğu Perinçek und dessen Verurteilung vor Schweizer Gerichten gem der „Rassismus-Strafnorm“ (Art 261 bis Abs 4 Schweizerisches Strafgesetzbuch) das Recht auf Meinungsfreiheit gem Art 10 EMRK verletzt hat. Obwohl der EGMR das Recht auf Meinungsfreiheit in diesem Fall verletzt sah, hat er klargestellt, dass er für besonders dringende Anliegen Konventionsrechte einzuschränken stets den historischen Kontext des betroffenen Mitgliedstaates berücksichtigt.94 Zudem stellte der EGMR klar, dass dies insbesondere für den Holocaust zutrifft.95 In Anbetracht des Ermessensspielraums für Mitgliedsstaaten in der Beurteilung des öffentlichen Interesses, sowie der ausdrücklichen Erwähnung des spezifischen historischen Kontexts der Mit- gliedsstaaten ist eine Feststellung der Konventionswidrigkeit im Sinne einer Verletzung von Art 1 1. ZP zur EMRK im vorliegenden Fall nicht sehr wahrscheinlich.96 Dies ist bis zu einem Urteil des EGMR allerdings eine Spekulation. Dementsprechend heikel ist die aktuelle Situation. Denn von der Beschwerdeführerin kann im Rahmen des Verfahrens vor dem EGMR nicht nur wie üblich 89 Siehe dazu Meyer-Ladewig/v. Raumer in Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer, EMRK, Art 1 1. ZP zur EMRK Rz 35 FN 87 mwN auf EGMR 23. 11. 2000 (GK), 25701/94, Ehemaliger König von Griechenland/Griechenland Rz 79-82. Die Regierung Griechenlands gestand zu (Rz 80): „Undeniably, both these laws had an individual character. However, the circumstances of the case were unique: in any recent republic there was only one former royal family. Such a family was not in a position comparable to that of any other family. Legislation relating to their property would, by definition, relate to that family alone; still, that could not deprive the legislation of its legitimacy.“ Und der EGMR erkannte dies an (Rz 82): „To sum up, the deprivation was provided for by law, as required by Article 1 of Protocol No. 1.“ 90 Vgl dazu Bezemek, Grundrechte in der Rechtsprechung der Höchstgerichte (2016) 60–63. 91 Vgl Meyer-Ladewig/v. Raumer in Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer, EMRK, Art 1 1. ZP zur EMRK Rz 36–39; sowie Grabenwarter/Pabel, EMRK6 Rz 19 mwN in FN 120 und 121; Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 1 1. ZP zur EMRK Rz 13 verlautbart äußerst selbstsicher: „Angesichts der in der österreichischen Lehre und Judikatur entwickel- ten relativ strengen Anforderungen an die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Enteignung nach Art 5 StGG, ha- ben die diesbezüglichen Anordnungen des ZP für Österreich insofern keine Relevanz; sie sind jedoch für die Frage der Entschädigungspflicht bei Enteignungen von Bedeutung.“ [Vw ausgelassen]. 92 Gem Art 35 Abs 1 EMRK hat die vormalige Eigentümerin für die Erhebung einer Individualbeschwerde beim EGMR bis zu 6 Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung Zeit. Vgl dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6 Rz 39–40. 93 VfSlg 20.186/2017 Rz 32. 94 EGMR 15. 10. 2015 (GK), 27510/08, Perinçek/CH Rz 242. 95 Ibid Rz 243; vgl ebenso EGMR 8. 11. 2012, 43481/09, PETA Deutschland/Deutschland, Rz 49, worin der EGMR speziell auf den historischen und sozialen Kontext der Meinungsäußerung abstellt und Deutschland in Bezug auf die PETA Kampagne „The Holocaust on your plate” insbesondere als sensiblen Ort herausstellt. Gerade die einschlägige spezielle Verpflichtung Deutschlands wurde daher als Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der Meinungs- äußerungsfreiheit gem Art 10 EMRK vom EGMR akzeptiert. 96 Nicht zuletzt auch nur deshalb, weil man sich an das von Bezemek in FS Holzinger 184 insb FN 64, bereits (in einem anderen Verfahren bezüglich einer Enteignung) zitierte Palström’sche Argument „dass eben nicht sein kann, was nicht sein darf“ von Christian Morgenstern erinnert fühlt.
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Austrian Law Journal Volume 2/2018
Title
Austrian Law Journal
Volume
2/2018
Author
Karl-Franzens-Universität Graz
Editor
Brigitta Lurger
Elisabeth Staudegger
Stefan Storr
Location
Graz
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
19.1 x 27.5 cm
Pages
94
Keywords
Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
Categories
Zeitschriften Austrian Law Journal
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