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ALJ 2018 Dual-Use-Verträge 103
2000 (Art 15) herangezogen wurde.98 Grundsätzlich ist daher auch aus Sicht des EuGH möglich,
dass ein ErwGr eines späteren Unionsrechtsakts zur Auslegung eines anderen, früheren Unions-
rechtsakts herangezogen werden kann. Dies steht im Einklang mit dem evolutiven Charakter des
Unionsrechts. Bei einer am inneren System orientierten Auslegung kann eine Neuregelung im
Europäischen Privatrecht (hier in der VRRL) ohne Änderung des Textes der bestimmten Regelun-
gen (hier in der VGK-RL) die Auslegung des Europäischen Privatrechts beeinflussen.99
vi. Verbindung und Kohärenz zwischen VGK-RL und VRRL
Eine zumindest angestrebte Kohärenz zwischen den Richtlinien belegt der Kommissionsvorschlag
zur VRRL, der die VGK-RL gemeinsam mit der Klausel-RL (93/13/EWG), der Haustür-RL (85/577/EWG)
und der Fernabsatz-RL (97/7/EG) ersetzen sollte.100
Fraglich ist, ob als historisch-teleologisches Argument gegen die Überwiegensregel greift, dass sich
der Anwendungsbereich des Kommissionsvorschlages zur VRRL auf die Gewährleistung erstreckt,
nicht aber auf die VRRL. Dies trifft nicht zu: Die Überwiegensregel war nicht Grund für die Nicht-
aufnahme der Gewährleistungsbestimmungen. Während des schwedischen Vorsitzes versuchten
größere Mitgliedstaaten Besonderheiten des nationalen Gewährleistungsrechts in den Entwurf
zu bringen. Das vom Vereinigten Königreich geforderte right to reject und die von Frankreich pro-
pagierten längeren Gewährleistungsfristen, besonders bei versteckten Mängeln, fanden letztlich
Einzug im Regelungsvorschlag unter schwedischem Vorsitz. Es formte sich Widerstand angesichts
der inhaltlichen Konsequenzen und der mit dieser Richtlinie intendierten Vollharmonisierung.101
Die gewährleistungsrechtlichen Bestimmungen wurden Ende des Jahres 2010 unter der belgi-
schen Ratspräsidentschaft mit der hierfür erforderlichen Mehrheit eliminiert.102
Der ErwGr über die Überwiegensregel fand sich damals nicht in dem Kommissionsvorschlag, der
noch die Gewährleistung enthielt, sondern erst in der Endfassung der legislativen Entschließung
im Juni 2011.103 Der ursprüngliche RL-Vorschlag war auch der Kritik ausgesetzt, weil er zu Dual-
Use-Verträgen nicht Stellung bezog.104 Es bestand nämlich Unsicherheit, ob sich die Rsp zum IZPR
auf das materielle Recht übertragen lasse.105 Dieser Kritik wurde auch insoweit Rechnung getra-
98 EuGH 7. 12. 2010, C-585/08 und C-144/09, Pammer und Alpenhof Rz 42 ff.
99 Riesenhuber in Riesenhuber3 § 10 Rz 46; Canaris, Systemdenken 63 f, 67-72.
100 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher, 8. 10.
2008, KOM (2008) 614 final 3.
101 Dazu Stabentheiner/Cap, Die neue Verbraucherrechte-Richtlinie, Werdegang, Geltungsbereich, „klassisches“
Verbraucherschutzrecht, ÖJZ 2011, 1045 (1049); Cap, Grundsätzliches zur Verbraucherrechte-Richtlinie: Entste-
hung, Anwendungsbereich, Zentralbegriffe, Harmonisierungsgrad, in P. Bydlinski/Lurger (Hrsg), Die Richtlinie über
die Rechte der Verbraucher (2012) 1 (13 f).
102 Stabentheiner/Cap, ÖJZ 2011, 1049; vgl Cap in P. Bydlinski/Lurger 5. Einige Bestimmungen des allgemeinen Ver-
tragsrechts verblieben: Gefahrenübergang; Lieferung, Rücktritt bei Verzug.
103 Annahme des EP-Standpunkts in 1. Lesung durch den Rat, 23. 6. 2011, 2008/0196 (COD); Art 2 Z 1 Kommissions-
vorschlag zur VRRL definiert den Verbraucher noch als „jede natürliche Person, die bei von dieser Richtlinie erfassten
Verträgen zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit
liegen.“
104 Wendehorst/B. Jud, Proposal for a Directive on Consumer Rights - an Academic Position Paper, GPR 2009, 68 (69);
Schulte-Nölke, Scope and Role of the Horizontal Directive and its Relationship to the CFR in Howells/Schulze (Hrsg),
Modernising and Harmonsing Consumer Contract Law (2009) 23 (37 f); Paschke/Husmann, Gemischte Harmoni
sierung des Verbraucherprivatrechts – Königsweg zwischen Mindest- und Vollharmonisierung, GPR 2010, 262 (266).
105 Micklitz/Reich, Der Kommissionsvorschlag vom 8. 10. 2008 für eine Richtlinie über „Rechte der Verbraucher”,
oder: „der Beginn des Endes einer Ära …”, EuZW 2009, 279 (281); Pisulinski, Vollharmonisierung im Systemver-
gleich: Gemeinsamer Referenzrahmen und Vorschlag der Horizontalrichtlinie zum Verbraucherrecht in Gsell/
Heeresthal (Hrsg), Vollharmonisierung im Privatrecht (2009) 47 (50 f).
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Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal