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ALJ 2018 Dual-Use-Verträge 107
aber zu beachten, dass die Erlassung eines Rechtsaktes zugunsten einer besonderen Personen-
gruppe noch nicht als Anlass genommen werden darf, um übergebührend zugunsten dieser
Personengruppe (idF Verbraucher) die Richtlinie auszulegen.120 Im Hinblick auf einen gesetzgebe-
rischen Interessensausgleich sind gegenläufige Interessen ebenso zu berücksichtigen.121
Als Argument für die Anwendung der Überwiegensregel lässt sich ins Treffen führen, dass auch
der Unternehmer in den Genuss des Verbraucherschutzes kommen kann, wenn er aufgrund
seines Wissens und seiner Erfahrung in einer schwächeren Position als sein Vertragspartner
ist.122 Dieser Gedanke lässt sich auch mit dem gesetzgeberischen Interessensausgleich in Ein-
klang bringen. Die Ungleichgewichtslage wird insofern typisiert, als angenommen wird, dass hin-
sichtlich des Vertragsteils, der zu privaten Zwecken abgeschlossen wird, die Person in einer
schwächeren Position ist. IdZ ist auf die EuGH Entscheidung in der Rs Costea zu verweisen: In
dieser wurde der objektive Charakter des Vertrages unabhängig von den konkreten Kenntnissen,
die die betreffende Person haben mag, oder den Informationen, über die sie tatsächlich verfügt,
betont.123 Es kommt daher nicht darauf an, über welche konkreten Kenntnisse der Vertragsteil
hinsichtlich des privaten Teils tatsächlich verfügt. Aufgrund der Typisierung kann angenommen
werden, dass sich der Vertragspartner hinsichtlich des privaten Teils in einer schwächeren Positi-
on befindet. Ist dieser private Teil der „wesentliche“ Teil des Vertrages scheint es gerechtfertigt,
dass diese Person in den Genuss des Verbraucherschutzes kommt. Dass nur eine untergeordne-
te Rolle des beruflichen oder gewerblichen Zwecks nicht schadet, berücksichtigt nicht hinrei-
chend, dass sich der Vertragspartner hinsichtlich des überwiegenden privaten Teils in einer
schwächeren Position befindet.
4. Zwischenfazit
Es sprechen gute Gründe für eine Heranziehung der Überwiegensregel, wie sie auch in ErwGr 17
VRRL geregelt ist, im Anwendungsbereich der VGK-RL. Letztendlich ist die Frage der Einordnung
von Dual-Use-Verträgen vom EuGH zu klären. Der OGH wäre daher im Fertigparkett-Fall als letzt-
instanzliches Gericht verpflichtet gewesen (Art 267 Abs 3 AEUV), eine Vorlagefrage an den EuGH
zu stellen.124 Einer Vorlagepflicht an den EuGH wäre der OGH entgangen, hätte der OGH die Über-
wiegensregel angewendet. Im Einklang mit dem Mindestharmonisierungscharakter der VGK-RL und
der Möglichkeit der Sicherstellung eines höheren Verbraucherschutzniveaus als in der Richtlinie
1996, C-178, 188, 189, 194/94, Dillenkofer Rz 22; EuGH 14. 3. 2002, C-167/00, Henkel Rz 35 (zum EuGVÜ); EuGH
11. 7. 2002, C-96/00, Gabriel Rz 37.
120 Vgl EuGH 3 .9. 2009, C-489/07, Messner Rz 25 f („nicht zum Ziel, ihm Rechte einzuräumen, die über das hinausgehen,
was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist“); Riesenhuber in Riesenhuber3 § 10 Rz 45;
57 ff.
121 Riesenhuber in Riesenhuber3 § 10 Rz 43.
122 Bamberger in Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg), BeckOK47 (Stand 1. 8. 2018) § 13 BGB Rz 12; vgl Lurger in P. Bydlinski/
Lurger 61 f; Mankowski, IPRax 2005, 505 weist darauf hin, dass das Abstellen auf den Schwerpunkt schon dem na-
türlichen Gerechtigkeitsgefühl entspreche. Er führt ins Treffen, dass das „Unwesentliche“ den Vertrag nicht prä-
gen solle (aaO [504]). Diese Lösung abstrahiert. Vorteil sei, dass sich der Schwerpunkt mathematisch einfach
feststellen lässt (abgesehen bei 50:50 Verteilungen) (aaO [505]).
123 EuGH 3. 9. 2015, C-110/14, Horațiu Ovidiu Costea/SC Volksbank România SA Rz 21; zur teleologischen Auslegung
noch eingehend iZm der RL-konformen Auslegung.
124 Die dafür notwendigen Voraussetzungen wären wohl gegeben, nämlich die Entscheidungserheblichkeit der
Auslegung des Unionsrechts, weiters, dass vom EuGH die Frage noch nicht entschieden wurde und die Ausle-
gung ohne Zweifel nicht klar ist. Eine Ausnahme, nämlich, wenn die Entscheidung des EuGH offenkundig sein
sollte, weil keinerlei Zweifel an der Entscheidung der betreffenden Frage bestehen (acte clair) wird hier nicht vor-
liegen. EuGH 6. 10. 1982, C-283/81, CILFIT Rz 16; so auch Faber/Klampferer in Eilmansberger/Herzig 320 f.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal