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ALJ 2018 Olaf Riss 129
vorrangig gerade diesem Modernisierungsaspekt widmen, weil mit den dafĂĽr erforderlichen
ModernisierungsmaĂźnahmen die Gefahr von inhaltlichen Eingriffen gering gehalten werden
kann. Zum Einsatz kommt auch hier – wie bei der Modernisierung durch Anpassung an die wei-
terentwickelte System- und Begriffsbildung – vor allem eine Änderung des Satzbaus und eine
Anpassung der Begriffe; zudem soll auch die Ausdrucksweise nach den Regeln der Klarsprache
verbessert werden. Hier zielt die Neu-/Umgestaltung allerdings nicht vorrangig darauf ab, die
zivilrechtliche Systembildung (besser) abzubilden, sondern der Text soll – sozusagen unabhängig
von der dahinterstehenden Systematik – sprachlich verständlicher gemacht werden.
Wird ein Gesetz mithilfe solcher ModernisierungsmaĂźnahmen angepasst (Satzbau, Begriffe, Aus-
drucksweise), kann man zwar gut vermeiden, dass dabei in den Regelungsgehalt des Gesetzes
eingegriffen wird. Dieser Ansatz stößt allerdings auf andere Schwierigkeiten. Zum einen ist es
alles andere als leicht, abstrakte, vom konkreten Fall/Satz losgelöste Regeln für gute/verbesserte
Verständlichkeit zu formulieren. Davon weiß jeder ein Lied zu singen, der schon einmal als Be-
treuer einer wissenschaftlichen Arbeit versucht hat, dem Betreuten zu Beginn ein paar nĂĽtzliche
Anleitungen mit auf den Weg zu geben. Viel mehr als die schon aus der Schulzeit bekannten Rat-
schläge, wonach Schachtelsätze, lange Sätze und passive Formulierungen zu vermeiden sind,
lässt sich trotz größter Hilfsbereitschaft in allgemeiner Form oft nicht sagen.
In der Sprachwissenschaft fanden sich in der Vergangenheit verschiedene Konzepte, die sprachli-
che Verständlichkeit im Fokus hatten:29 Bis 1920 widmete man sich den kognitiven Prozessen der
Buchstaben- und Worterkennung bei erwachsenen Lesern. Diese Fragestellung wurde ab 1920
bis etwa 1960 grundlegend modifiziert und man suchte nach einer optimalen Methode des Lese-
unterrichts. Seit Mitte der 60er Jahre steht die Textverarbeitungsforschung im Mittelpunkt. Heute
arbeitet man mittlerweile sogar mit mehreren verschiedenen Algorithmen und mathematisch zu
berechnenden Kennzahlen, an denen sich ablesen lässt, welchen „score“ ein Text auf der Ver-
ständlichkeitsskala erreicht.30 Wer die Verständlichkeit von Rechtstexten verbessern will, muss
den Wert dieser Anstrengungen gewiss hoch ansetzen. Dennoch scheint mir, dass man nicht der
Verlockung verfallen sollte, Sprache und Sprachkultur mechanisch in mathematische Formeln
gieĂźen zu wollen. Der Nutzen, den solche Algorithmen entfalten, wenn man sie einsetzt, um die
Textverständlichkeit zu verbessern, beschränkt sich nach meiner (sicherlich sehr laienhaften)
Wahrnehmung nicht selten im Wesentlichen darauf, wenig verständliche Passagen zu identifizie-
ren; so spricht etwa Muhr31 davon, dass sich damit nur textuelle Oberflächenphänomene messen
lassen. Eher schwer fällt es hingegen sich vorzustellen, wie sich solche mathematischen Formeln
und Algorithmen als Grundlage einer Handlungsanleitung für denjenigen eignen können, der
einen Rechtstext zu formulieren hat.
Die Entwicklung der Sprachwissenschaft und deren Erkenntnisse sind von eminentem Einfluss
gerade auf die Dispziplin der Rechtswissenschaften, weil – wie es Schwintowski32 pointiert formu-
liert – Recht ohne Sprache ebenso wenig denkbar ist wie Sprache ohne Recht. Keineswegs soll
generell bezweifelt werden, dass man objektive Kriterien der Sprache von Gesetzen, die sich als
29 Weiterführend Schwintowski, Die Bedeutung interdisziplinären Arbeitens von Rechts- und Sprachwissenschaft,
NJW 2003, 632 (635 mwH).
30 Dazu siehe näher Muhr, Zur Bürgerfreundlichkeit und Verständlichkeit alltagsnaher österreichischer Rechtstexte,
in Burkhardt/Hoberg/Di Meola (Hrsg), Deutsche Sprachwissenschaft international XV (2012) 117 (123 f).
31 In Burkhardt/Hoberg/Di Meola, Sprachwissenschaft XV 124.
32 NJW 2003, 632.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2018
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2018
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Editor
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 94
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal