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ALJ 2021 Kepplinger 164
C. Die res integra-Lehre im römischen Vertragsrecht
1. Zur technischen Bedeutung des Ausdrucks res integra in den Quellen
des corpus iuris civili
Der Ausdruck begegnet ob der Mehrdeutigkeit des Kompositums
(eigentlich von ; also kontextunabhängig: 89) in den Quellen des
römischen Rechts in unterschiedlichen Zusammenhängen: Bisweilen bezeichnet es den
Zustand (zumeist körperlicher) Sachen vor einem bestimmten häufig schadensträchtigen
Ereignis. IdS spricht etwa (D. 14, 2, 4, 2) von und meint damit (noch)
unbeschädigtes Ladegut. verwendet den Ablativ (D. 39, 2, 9 pr) zur
Umschreibung des Zustands eines Hauses vor dessen Einsturz.90
Technisch wird der Ausdruck bei den Konsensualkontrakten allen voran beim Kauf91
verwendet: Hintergrund der Technizität ist die gut belegte Ansicht, dass eine
nur durch aufgehoben werden kann, solange sie noch bzw
wie es in den Quellen auch heißt ist.92 Prägnant drückt das aus
(D. 18, 5, 5, 1): 93 Ganz in diesem
Sinne liest man etwa zweihundert Jahre später in der gordianischen Konstitution C. 4, 45, 194:
95
Dies führt zur Frage, ab welchen Ereignissen eine nicht mehr war:
Dieser Zustand wird durch Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen beseitigt, wobei es
genügt, wenn eine der Parteien erfüllt, gleichgültig welche. So konstatiert etwa
(D. 18, 5, 2): 96 Für den
umgekehrten Fall ist in der bereits erwähnten Konstitution C. 4, 45, 1 zu lesen:
97 Klar belegt ist auch die
Aufhebung des Zustands durch Teilleistung.98 In diesen Quellen erblickt
99 zu Recht eine dogmengeschichtliche Stütze für die hL100 zu § 871 Abs 1 ABGB, wonach
die Aufklärung des Irrtums nicht mehr sei, wenn der andere Teil seine
Vertragsleistung bereits (teilweise) erbracht hat.
89 Siehe zur Etymologie und zum Bedeutungsspektrum des Adjektivs in den literarischen Quellen nur , Ausführliches
lateinisch-deutsches Handwörterbuch (Nachdruck Darmstadt 1998) II 340-343.
90 Näher zur Stelle , Bau- und nachbarrechtliche Bestimmungen im klassischen römischen Recht (1987) 133, 136
FN 7, 9 u 10.
91 am klarsten
rekonstruieren; s dazu die exegetischen Ausführungen von , Contrarius concensus (1968) 23-60 u in
92 Siehe Ner. D. 2, 14, 58; Jul. D. 18, 5, 5, 1; Pomp. D. 18, 1, 6, 2; 18, 5, 2; Pap. 18, 1, 72 pr; 46, 3, 95, 12; Paul. D. 18, 5, 3; Ulp.
D. 2, 14, 7, 6; Gord. C. 4, 45, 1; Diocl. C. 4, 45, 2; Inst. 3 ,29, 4; eingehend zur Thematik aaO (FN 91); ,
Rechtsakt und Rechtsverhältnis (1990) 45-52 (§ 4).
93 Ein Kauf wird durch bloße Vereinbarung aufgehoben, wenn die Sache noch nicht befolgt worden sein sollte (scil: solange
noch keine Leistung erbracht wurde).
94 Das exakte Jahr dieser Kaiserkonstitution ist unbekannt.
95 ist es gewiss möglich, dass vom Kauf und Verkauf durch Konsens beider Parteien zurückgetreten wird.
96 Wir können den Kauf nach Zahlung des Kaufpreises nicht mehr ungeschehen machen.
97 Nach erfolgter Übergabe hebt der bloße Wille den Kauf nicht auf.
98 Pap. D. 46,3,95,12; Diocl. C. 4,45,2,2 ( ).
99 In FS Wesener 306-308.
100 Zu dieser bereits oben Pkt I.
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Austrian Law Journal
Volume 2/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 48
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal