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ALJ 2021 Kepplinger 176
183 den Satz als Gesamtverweis auf das
testamentarische Irrtumsrecht der §§ 565, 570-572 ABGB184 und konstatiert kraft
Größenschlusses: Nicht nur Motivirrtümer, sondern auch Erklärungs- und Geschäftsirrtümer
ieS seien bei unentgeltlichen Geschäften nach diesen Regeln zu beurteilen, sodass eine
Irrtumsanfechtung zu beurteilen sei. Neben
dem grammatikalischen Argument werden dafür auch systematische Erwägungen in Stellung
gebracht: Die Rechtsordnung schütze das Vertrauen des unentgeltlichen Erwerbers in einer
Reihe von Fällen weniger stark als das Vertrauen desjenigen, der entgeltlich erwirbt. Das zeige
sich beim gutgläubigen Eigentumserwerb (§ 367 ABGB), der (§ 373 ABGB)
und der Gläubigeranfechtung (§ 29 IO); bei der Auslegung von Willenserklärungen (§ 915 Satz
1 ABGB), der reduzierten Haftung des Schenkers (§ 945 ABGB) und seiner (fehlenden)
Verpflichtung zur Gewährleistung (§ 922 ABGB). Aus diesen Regelungen folgert man:185 Das
Gesetz verlasse bei unentgeltlichen Geschäften den Boden der Vertrauenstheorie; für sie sei
die Willenstheorie maßgebend.
2. Das Gegenmodell . Anfechtung bloß bei Vorliegen einer der drei
Alternativen von § 871 Abs 1 ABGB
Dieser Lehre trat entgegen: Er zeigt den Unterschied auf, dass es bei den
letztwilligen Verfügungen an einem schutzwürdigen Erklärungsempfänger fehlt,186 während
Schäden, die aus dem Vertrauen auf ein unentgeltliches Geschäft unter Lebenden
resultieren, durchaus beträchtlich sein können.187 Die hL führe dazu, dass unentgeltliche
Geschäfte ihren Charakter als Obligierungsgrund weitegehend verlieren.188 Vor diesem
Hintergrund deutet 189 den Verweis in § 901 Satz 3 ABGB anders: Er beziehe sich
nicht auf das testamentarische Irrtumsrecht schlechthin, sondern lediglich auf § 572 ABGB
sowie auf die Regelungen über die Auflage
(§§ 709-712 ABGB). Den Gehalt der Verweisung auf § 572 ABGB190 beschränkt
183 Irrthumslehre 228 ff; in Klang/Gschnitzer, ABGB IV/1² 331; in Klang3 § 901 Rz 15;
/ in KBB6 § 901 ABGB Rz 4 f; bloß referierend in , ABGB-ON1.03 § 901 Rz 7 f;
in Rummel/Lukas, ABGB4 § 901 Rz 42, der das Gegenmodell
184 IdF nach dem ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87).
185 Irrthumslehre 229; in Klang, ABGB II/21 346; System I/12, 231 f; in Klang/Gschnitzer
IV/1² 332; in FS H. Stoll 127 f inkl FN 38; in Klang3 § 901 ABGB Rz 21; , Allgemeiner Teil8
Rz 5/10.
186 Irrtumsanfechtung 126.
187 Irrtumsanfechtung 111.
188 Irrtumsanfechtung 109 f.
189 Irrtumsanfechtung 124 ff.
190 Hinzuweisen ist darauf, dass der Gehalt von § 572 ABGB bereits vor dem ErbRÄG streitig war. Nach der Diktion von § 572
ABGB in der Stammfassung (JGS 1811/946) konnte eine letztwillige Verfügung nur dann wegen Motivirrtums angefochten
gefolgert, dass nur ein in der Verfügung genannter Beweggrund beachtlich sei (s bspw Der Motivirrtum
beim Rechtsgeschäft unter Lebenden zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 572 ABGB, NZ 2002, 193 [196 ff]). Nach
Rsp und üL war es hingegen für die Beachtlichkeit des Motivirrtums einerlei, ob der Beweggrund in der letztwilligen
Verfügung angegeben wurde oder nicht (ausführlich zum Streitstand in
Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2017] Zu §§ 570 - 572 aF, §§ 570 - 572 nF ABGB Rz 21 f). Im Zuge des ErbRÄG wurde
die Formulierung von § 572 ABGB nur unwesentlich verändert. Allerdings entfachte die Kontroverse deshalb neu, weil man
in den Materialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 9) den Hinweis findet, dass § 572 ABGB zwar weitgehend am bisherigen Recht
sein (anders OGH 10
ABGB entgegen der Rsp und üL zur Urfassung der Bestimmung so gedeutet wissen will, dass nunmehr bloß jene Motive
beachtlich sind, die in der letztwilligen Verfügung zumindest einen Anhaltspunkt haben (mit , Zum Motivirrtum
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Austrian Law Journal
Volume 2/2021
- Title
- Austrian Law Journal
- Volume
- 2/2021
- Author
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 19.1 x 27.5 cm
- Pages
- 48
- Keywords
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Categories
- Zeitschriften Austrian Law Journal