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Austrian Law Journal, Volume 3/2017
Page - 171 -
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Page - 171 - in Austrian Law Journal, Volume 3/2017

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ALJ 3/2017 Helmut Koziol 171 III. Beispiele für elastische Tatbestandsformulierungen A. Irrtum bei Vertragsabschluss Ich beginne mit einem Beispiel aus dem Vertragsrecht, und zwar dem Irrtum beim Vertragsab- schluss:46 Die entscheidende Voraussetzung für das Recht einer Vertragspartei zur Anfechtung des Vertrages ist deren Irrtum. Nach österreichischem Recht (§§ 871,47 901 ABGB) und ebenso auch nach deutschem Recht (§ 119 BGB48) hängt die Bedeutung eines solchen Irrtums davon ab, ob es sich um einen Geschäftsirrtum oder einen Motivirrtum handelt. Der Geschäftsirrtum im weiten Sinn umfasst den Erklärungsirrtum, den Eigenschaftsirrtum und den Irrtum über den Vertragspartner (§ 873 ABGB). Die Geschäftsirrtümer betreffen Umstände, die von Vertrags- schließenden üblicherweise zum relevanten Inhalt des Vertrages gezählt werden. Ihnen kommt ein solches Gewicht zu, dass sie – zusammen mit weiteren Voraussetzungen – ein Anfechtungs- recht bei allen Arten von Verträgen rechtfertigen. Motivirrtümer betreffen hingegen Umstände die lediglich für die Überlegungen eines der Vertragspartner im „Vorfeld“ seiner Willenserklärung eine Rolle spielen, seinen Risikobereich betreffen und daher den anderen Vertragsteil nichts angehen. Ihnen kommt daher geringeres Gewicht zu, sodass sie ein Anfechtungsrecht lediglich bei unentgeltlichen Geschäften, insb bei Schenkungen, begründen können, da bei diesen der Partner des Irrenden weniger Schutz verdient. Diese Abwägungen nehmen somit Bedacht auf die Interessen des anderen Vertragsteils und leiten damit – zumindest nach österreichischem Recht – zum zweiten entscheidenden Faktor bei der Rechtfertigung von Anfechtungsrechten, nämlich dem Vertrauensgedanken: § 871 ABGB gewährt ein Anfechtungsrecht nur dann, wenn der Part- ner des Irrenden nicht schutzwürdig erscheint. Diese Schutzunwürdigkeit kann darauf beruhen, dass der Partner den Irrtum veranlasst hat oder ihm offenbar auffallen hätte müssen oder wenn der Irrtum so rechtzeitig aufgeklärt wurde, dass der Partner noch keine Dispositionen im Ver- trauen auf die Gültigkeit des Vertrages getroffen hat. Damit berücksichtigt das ABGB nicht nur die Privatautonomie des Irrenden, sondern auch das schutzwürdige Vertrauen des Partners und die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Im Gegensatz dazu lässt das deutsche Recht (§ 119 BGB) die Anfechtung zu, ohne auf das Vertrauen des Partners und dessen Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Das deutsche Recht schützt den Partner des Irrenden lediglich durch die Einräumung eines Anspruchs auf Ausgleich des Schadens, der durch die Enttäuschung seines Vertrauens in die Gültigkeit des Vertrages entstand. Es besteht noch ein weiterer, höchst bedeutsamer Unterschied zwischen dem österreichischen und dem deutschen Recht: § 872 ABGB sieht eine Abstufung der Rechtsfolgen entsprechend dem Gewicht des Irrtums vor. Das ABGB unterscheidet nämlich zwischen wesentlichem und unwe- 46 F. Bydlinski, Mistake in Austrian Private Law Viewed in Terms of a “Flexible System” Approach, in Hausmaninger/ Koziol/Rabello/Gilead (Hrsg), Developments in Austrian and Israeli Private Law (1999) 21; F. Bydlinski, Das österrei- chische Irrtumsrecht als Ergebnis und Gegenstand beweglichen Systemdenkens, in FS Hans Stoll (2001) 113. 47 § 871 Abs 1 ABGB: War ein Teil über den Inhalt der von ihm abgegebenen oder dem anderen zugegangenen Erklärung in einem Irrtum befangen, der die Hauptsache oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben be- trifft, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt wurde, so entsteht für ihn keine Verbindlichkeit, falls der Irrtum durch den anderen veranlaßt war, oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen mußte oder noch rechtzeitig aufgeklärt wurde. 48 § 119 BGB: Anfechtbarkeit wegen Irrtums. (1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. (2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigen- schaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
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Austrian Law Journal Volume 3/2017
Title
Austrian Law Journal
Volume
3/2017
Author
Karl-Franzens-Universität Graz
Editor
Brigitta Lurger
Elisabeth Staudegger
Stefan Storr
Location
Graz
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
19.1 x 27.5 cm
Pages
66
Keywords
Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
Categories
Zeitschriften Austrian Law Journal
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