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flirrte von Menschen, die mit der flackernden Nervosität eingesperrter
Untätigkeit unausgesetzt plaudernd auf und nieder gingen. Das zwitschernde
Geschäker der Frauen, das rastlos kreisende Wandern auf dem Engpaß des
Decks, wo vor den Stühlen der Schwarm in schwatzhafter Unruhe
vorbeiwogte, um sich unablässig zu begegnen, tat mir irgendwie weh. Ich
hatte eine neue Welt gesehen, rasch ineinanderstürzende Bilder in rasender
Jagd in mich eingetrunken. Nun wollte ich mirs übersinnen, zerteilen, ordnen,
nachbildend das heiß in den Blick Gedrängte gestalten, aber hier auf dem
gedrängten Boulevard gab es nicht eine Minute Ruhe und Rast. Die Zeilen in
einem Buch zerrannen vor den flüchtigen Schatten der Vorüberplaudernden.
Es war unmöglich, mit sich selbst auf dieser schattenlosen wandernden
Schiffsgasse allein zu sein.
Drei Tage lang versuchte ichs, sah resigniert auf die Menschen, auf das
Meer, aber das Meer blieb immer dasselbe, blau und leer, nur im
Sonnenuntergang plötzlich mit allen Farben jäh übergossen. Und die
Menschen, sie kannte ich auswendig nach dreimal vierundzwanzig Stunden.
Jedes Gesicht war mir vertraut bis zum Überdruß, das scharfe Lachen der
Frauen reizte, das polternde Streiten zweier nachbarlicher holländischer
Offiziere ärgerte nicht mehr. So blieb nur Flucht: aber die Kabine war heiß
und dunstig, im Salon produzierten unablässig englische Mädchen ihr
schlechtes Klavierspiel bei abgehackten Walzern. Schließlich drehte ich
entschlossen die Zeitordnung um, tauchte in die Kabine schon nachmittags
hinab, nachdem ich mich zuvor mit ein paar Gläsern Bier betäubt, um das
Souper und den Tanzabend zu überschlafen.
Als ich aufwachte, war es ganz dunkel und dumpf in dem kleinen Sarg der
Kabine. Den Ventilator hatte ich abgestellt, so schwälte die Luft fettig und
feucht an die Schläfen. Meine Sinne waren irgendwie betäubt: ich brauchte
Minuten, um mich an Zeit und Ort zurückzufinden. Mitternacht mußte
jedenfalls schon vorbei sein, denn ich hörte weder Musik noch den rastlosen
Schlurf der Schritte: nur die Maschine, das atmende Herz des Leviathans,
stieß keuchend den knisternden Leib des Schiffes fort ins Unsichtbare.
Ich tastete empor auf Deck. Es war leer. Und wie ich den Blick aufhob über
den dünstenden Turm des Schornsteins und die geisterhaft glänzenden
Spieren, drang mit einmal magische Helle mir in die Augen. Der Himmel
strahlte. Er war dunkel gegen die Sterne, die ihn weiß durchwirbelten, aber
doch: er strahlte; es war, als verhüllte dort ein samtener Vorhang ungeheures
Licht, als wären die sprühenden Sterne nur Luken und Ritzen, durch die jenes
unbeschreiblich Helle vorglänzte. Nie hatte ich den Himmel gesehen wie in
jener Nacht, so strahlend, so stahlblau hart und doch funkelnd, triefend,
rauschend, quellend von Licht, das vom Mond verhangen niederschwoll und
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik