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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 11 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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Grauen überlief mich. Ich spürte, daß dieser Mensch sprechen wollte, sprechen mußte. Und ich wußte, daß ich schweigen müsse, um ihm zu helfen. Wir setzten uns wieder. Er hatte einen zweiten Deckchair dort, den er mir anbot. Unsere Zigaretten funkelten, und an der Art, wie der Lichtring der seinen unruhig im Dunkel zitterte, sah ich, daß seine Hand bebte. Aber ich schwieg, und er schwieg. Dann fragte plötzlich seine Stimme leise: »Sind Sie sehr müde?« »Nein, durchaus nicht.« Die Stimme aus dem Dunkel zögerte wieder. »Ich möchte Sie gerne um etwas fragen … das heißt, ich möchte Ihnen etwas erzählen. Ich weiß, ich weiß genau, wie absurd das ist, mich an den ersten zu wenden, der mir begegnet, aber … ich bin … ich bin in einer furchtbaren psychischen Verfassung … ich bin an einem Punkt, wo ich unbedingt mit jemandem sprechen muß … ich gehe sonst zugrunde … Sie werden das schon verstehen, wenn ich … ja, wenn ich Ihnen eben erzähle … Ich weiß, daß Sie mir nicht werden helfen können … aber ich bin irgendwie krank von diesem Schweigen … und ein Kranker ist immer lächerlich für die andern … « Ich unterbrach ihn und bat ihn, sich doch nicht zu quälen. Er möge mir nur erzählen … ich könne ihm natürlich nichts versprechen, aber man habe doch die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Wenn man jemanden in einer Bedrängnis sehe, da ergebe sich doch natürlich die Pflicht zu helfen … »Die Pflicht … seine Bereitwilligkeit anzubieten … die Pflicht, den Versuch zu machen … Sie meinen also auch, Sie auch, man habe die Pflicht … die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten.« Dreimal wiederholte er den Satz. Mir graute vor dieser stumpfen, verbissenen Art des Wiederholens. War dieser Mensch wahnsinnig? War er betrunken? Aber als ob ich die Vermutung laut mit den Lippen ausgesprochen hätte, sagte er plötzlich mit einer ganz andern Stimme: »Sie werden mich vielleicht für irr halten oder für betrunken. Nein, das bin ich nicht noch nicht. Nur das Wort, das Sie sagten, hat mich so merkwürdig berührt … so merkwürdig, weil es gerade das ist, was mich jetzt quält, nämlich ob man die Pflicht hat … die Pflicht … « Er begann wieder zu stottern. Dann brach er kurz ab und begann mit einem neuen Ruck. »Ich bin nämlich Arzt. Und da gibt es oft solche Fälle, solche verhängnisvolle … ja, sagen wir Grenzfälle, wo man nicht weiß, ob man die 11
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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