Page - 12 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Pflicht hat … nämlich, es gibt ja nicht nur eine Pflicht, die gegen den andern,
sondern eine für sich selbst und eine für den Staat und eine für die
Wissenschaft … Man soll helfen, natürlich, dazu ist man doch da … aber
solche Maximen sind immer nur theoretisch … Wie weit soll man denn
helfen? … Da sind Sie, ein fremder Mensch, und ich bin Ihnen fremd, und ich
bitte Sie, zu schweigen darüber, daß Sie mich gesehen haben … gut, Sie
schweigen, Sie erfüllen diese Pflicht … Ich bitte Sie, mit mir zu sprechen,
weil ich krepiere an meinem Schweigen … Sie sind bereit, mir zuzuhören …
gut … Aber das ist ja leicht … Wenn ich Sie aber bitten würde, mich zu
packen und über Bord zu werfen … da hört sich doch die Gefälligkeit, die
Hilfsbereitschaft auf. Irgendwo endets doch … dort, wo man anfängt mit
seinem eigenen Leben, seiner eigenen Verantwortung … irgendwo muß es
doch enden … irgendwo muß diese Pflicht doch aufhören … Oder vielleicht
soll sie gerade beim Arzt nicht aufhören dürfen? Muß der ein Heiland, ein
Allerweltshelfer sein, bloß weil er ein Diplom mit lateinischen Worten hat,
muß der wirklich sein Leben hinwerfen und sich Wasser ins Blut schütten,
wenn irgendeine … irgendeiner kommt und will, daß er edel sei, hilfreich und
gut? Ja, irgendwo hört die Pflicht auf … dort, wo man nicht mehr kann,
gerade dort … « Er hielt wieder inne und riß sich auf.
»Verzeihen Sie … ich rede gleich so erregt … aber ich bin nicht
betrunken … noch nicht betrunken … auch das kommt jetzt oft bei mir vor,
ich gestehe es Ihnen ruhig ein, in dieser höllischen Einsamkeit … Bedenken
Sie, ich habe sieben Jahre nur fast zwischen Eingeborenen und Tieren
gelebt … da verlernt man das ruhige Reden. Wenn man sich dann auftut,
flutets gleich über … Aber warten Sie … ja, ich weiß schon … ich wollte Sie
fragen, wollte Ihnen so einen Fall vorlegen, ob man die Pflicht habe zu
helfen … so ganz engelhaft rein zu helfen, ob man … Übrigens ich fürchte, es
wird lang werden. Sind Sie wirklich nicht müde?«
»Nein, durchaus nicht.«
»Ich … ich danke Ihnen … Nehmen Sie nicht?«
Er hatte irgendwo hinter sich ins Dunkel getappt. Etwas klirrte
gegeneinander, zwei, drei, jedenfalls mehrere Flaschen, die er neben sich
gestellt. Er bot mir ein Glas Whisky, an dem ich flüchtig nippte, während er
mit einem Ruck das seine hinabgoß. Einen Augenblick stand Schweigen
zwischen uns. Da schlug die Glocke: halb eins.
*
»Also … ich möchte Ihnen einen Fall erzählen. Nehmen Sie an, ein Arzt in
einer … einer kleineren Stadt … oder eigentlich am Lande … ein Arzt, der …
ein Arzt, der … «
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik