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sie … wenn das nicht gekommen wäre.«
*
Die Stimme im Dunkeln hielt inne. Auch die Pfeife glimmte nicht mehr. So
still war es, daß ich mit einem Male wieder das Wasser hörte, das sich
schäumend am Kiel brach, und den fernen, dumpfen Herzstoß der Maschine.
Ich hätte mir gern eine Zigarette angezündet, aber ich hatte Furcht vor dem
grellen Aufschlag des Zündholzes und dem Reflex in seinem Gesicht. Er
schwieg und schwieg. Ich wußte nicht, ob er zu Ende sei, ob er duselte, ob er
schlief, so tot war sein Schweigen. Da schlug die Schiffsglocke einen
geraden, kräftigen Schlag: ein Uhr. Er fuhr auf: ich hörte wieder das Glas
klingen. Offenbar tastete die Hand suchend zum Whisky hinab. Ein Schluck
gluckste leise – dann plötzlich begann die Stimme wieder, aber jetzt
gleichsam gespannter, leidenschaftlicher.
»Ja also … warten Sie … ja also, das war so. Ich sitze da droben in meinem
verfluchten Nest, sitze wie die Spinne im Netz regungslos seit Monaten
schon. Es war gerade nach der Regenzeit, Wochen und Wochen hatte es auf
das Dach geplätschert, kein Mensch war gekommen, kein Europäer, täglich,
täglich hatte ich dagesessen mit meinen gelben Weibern im Haus und meinem
guten Whisky. Ich war damals gerade ganz »down«, ganz europakrank: wenn
ich irgendeinen Roman las von hellen Straßen und weißen Frauen, begannen
mir die Finger zu zittern. Ich kann Ihnen den Zustand nicht ganz schildern, es
ist eine Art Tropenkrankheit, eine wütige, fiebrige und doch kraftlose
Nostalgie, die einen manchmal packt. So saß ich damals, ich glaube über
einem Atlas, und träumte mir Reisen aus. Da klopft es aufgeregt an die Tür,
der Boy steht draußen und eines von den Weibern, beide haben die Augen
ganz aufgerissen vor Erstaunen. Sie machen große Gebärden: eine Dame sei
hier, eine Lady, eine weiße Frau.
Ich fahre auf. Ich habe keinen Wagen kommen gehört, kein Automobil.
Eine weiße Frau hier in dieser Wildnis?
Ich will die Treppe hinab, reiße mich aber noch zurück. Ein Blick in den
Spiegel, hastig richte ich mich ein wenig zurecht. Ich bin nervös, unruhig,
irgendwie gequält von unangenehmem Vorgefühl, denn ich weiß niemanden
auf der Welt, der aus Freundschaft zu mir käme. Endlich gehe ich hinunter.
Im Vorraum wartet die Dame und kommt mir hastig entgegen. Ein dicker
Automobilschleier verhüllt ihr Gesicht. Ich will sie begrüßen, aber sie fängt
mir rasch das Wort ab. »Guten Tag, Doktor«, sagte sie auf englisch in einer
fließenden (etwas zu leicht fließenden und wie im voraus eingelernten) Art.
»Verzeihen Sie, daß ich Sie überfalle. Aber wir waren gerade in der Station,
unser Auto hält drüben« – warum fährt sie nicht bis vors Haus, schießt es mir
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik